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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske
Autoren: Helene Henke
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Eyeliner vorgesehen war.
    »Mein Gott, die sind aus meinem Behandlungsraum! Sie gehörten meinem Vater.« Sie schluckte und strich mit dem Finger über die fein gearbeiteten Metalleinfassungen.
    In einer Zeit, bevor die bequeme und hygienische Einwegspritze ihre noblen Vorgänger aus der Humanmedizin vertrieben hatte, gehörten Mehrwegspritzen zum Inventar eines jeden Arztes wie die Spezialschere zum Friseur. Als Gerichtsmediziner hatte Zoes Vater hin und wieder auf sein persönliches Handwerkszeug zurückgreifen können, doch letztlich war es mehr ein Hobby gewesen, antike medizinische Geräte zu ersteigern. Dieses Set hatte Zoe seit Jahren nicht mehr gesehen. Kein Wunder, wenn ihre Mutter es an sich genommen und offenbar auch benutzt hatte! Die vierte Kanüle war noch mit einer klaren gelblichen Flüssigkeit gefüllt. Ihre Kehle zog sich zusammen, als sie die drei leeren Spritzen betrachtete, in denen sich mit Sicherheit Restspuren von E 605 befanden. Sie fragte sich gar nicht erst, wie ihre Mutter an das Pflanzenschutzmittel gekommen war. Wahrscheinlich hatte sie es irgendwo im Gewölbekeller gefunden. Ihre Gedanken rotierten, als die Puzzlesteine aus Indizien und Mutmaßungen sich zusammenfügten.
    »Geht es dir gut? Soll ich einen Sanitäter rufen?« Leons besorgtes Gesicht tauchte vor ihr auf.
    »Nein. Mit mir ist alles in Ordnung.«
    Zumindest war sie nicht kurz davor, schreiend davonzulaufen oder einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Leon schien zu verstehen. Er nahm ihr das Beweisstück aus der Hand.
    »Da wäre noch etwas. In dieser kleinen Kammer sah es aus wie in einer Kräuterküche. Der Boden war mit getrockneten Blüten übersät. Vermutlich hat sie tatsächlich das Atropin aus Engelstrompeten gewonnen, um damit Zigaretten zu präparieren, die sie dann den Opfern angeboten hat.«
    Das bedeutete also, ihre hochmoralische Mutter hatte gemeinsam mit Boris und seinen Kumpeln auf der Plattform im Wald einen Joint geraucht. Das war absurd! Nachdem diese dann betäubt waren, musste sie einem nach dem anderen in aller Seelenruhe eine tödliche Injektion gesetzt haben. Unwillkürlich stöhnte Zoe auf, weil das schlicht ihre Vorstellungskraft übertraf. Für den Moment zumindest.
    Zoe rieb sich mit beiden Händen durch das Gesicht. »Das kommt auf den Stapel der Dinge, die mich verrückt machen.«
    Leon bückte sich, um die umgekippte Krücke aufzuheben.
    »Ich gehe auf keinen Fall zurück ins Krankenhaus.« Zoe nahm ihm die Krücke aus der Hand.
    »Die Kollegen werden gleich damit anfangen, das Haus zu durchsuchen. Dabei gehen sie nicht gerade rücksichtsvoll vor. Hier wirst du heute kaum Ruhe finden. Vielleicht solltest du bei mir übernachten.«
    »In der Pension von Frau Krüger? Das ist nicht dein Ernst!«, erwiderte sie matt.
    »Wenn wir dort ankommen, schläft sie bereits. Sie geht mit den Hühnern ins Bett und wird nichts davon mitbekommen.«
    Sein verschwörerischer Blick durchdrang die dämmrige Wolke, in die sich Zoes Gemüt gehüllt hatte. Im Grunde war es ihr gleich, ob Leons Vermieterin sie erwischen würde. Im Augenblick war ihr so ziemlich alles egal. Allerdings war der Gedanke, dem aufkommenden Trubel aus Ermittlungsarbeiten zu entkommen, durchaus verlockend.

    An diesem Abend weinte Zoe sich in den Schlaf, und so sehr sie es auch versuchte, sie konnte sich nicht erklären, was genau es ausgelöst hatte, dass sie die Beherrschung verlor. Wieso Leons Umarmung sie weich werden ließ.
    Irgendwann mitten in der Nacht wachten sie gleichzeitig auf und waren sich ihrer vom Schlaf erwärmten Körper mehr als bewusst. Eng aneinandergeschmiegt lagen sie auf den gestärkten Laken des Pensionsbettes. Im halbwachen Zustand konnte sie Leons glänzende Augen im mondscheinerhellten Zimmer deutlich sehen. Eine warme Brise zog durch das geöffnete Fenster über ihren Körper hinweg. Sie wollte nicht vollständig aufwachen. Nicht jetzt. Zu gegenwärtig war die Ahnung, dann erneut in einen Strudel aus Trauer und Verwirrung zu geraten. Schlafen wollte sie jedoch auch nicht. Leon hatte seinen Arm zum Trost um sie gelegt. Dort lag er noch immer, nur nicht mehr bewegungslos. Seine Hand strich sachte über ihre Hüfte. Sie legte den Kopf zurück an seine Brust, um seinem beruhigenden Herzschlag zu lauschen. Nun bewirkte das rhythmische Klopfen, dass ihr Blut im Gleichklang durch ihre Adern pochte. Sein Atem streifte ihre Wange, als er ihren Mund suchte. Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen. Sein Kuss öffnete eine Tür in
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