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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske
Autoren: Helene Henke
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ich mal einen Auftritt!«, flüsterte Leon Zoe zu.
    »Du findest das wohl witzig?«
    »Ähm? Nein.« Seinem Gesicht war deutlich anzusehen, dass er ihren Einwurf eigentlich bejahte.
    Er hatte gut reden, für ihn war der Fall ja abgeschlossen! Zoe verzog eine Miene, bevor sie aufstand, um ihre Mutter zu umarmen. Dabei fühlte sie sich auf befremdliche Weise befangen.
    Eine Mutter war eine Mutter. Sinnbild für bedingungslose Liebe. Jemand, dem man alles verzieh, dessen Entscheidungen nicht in Frage gestellt wurden. Doch gab es nirgendwo einen Schlussstrich? Wo endete das allumfassende Verständnis? Solange Zoe denken konnte, war Isobel ihr fremd gewesen. Sie hatten nebeneinanderher gelebt, seit Zoe nicht mehr darauf angewiesen war, versorgt zu werden. Wobei es vorher auch nicht viel anders gewesen war. Sie wurde bekocht, bekam frische Klamotten, und die Entschuldigungen für die Schule wurden unterschrieben. Manchmal fragte sie sich ernsthaft, ob sie nicht adoptiert worden war.
    Und trotzdem plagten Zoe nun Zweifel, ob sie es ertragen könnte, ihre Mutter in einer Nervenheilanstalt zu wissen. Für einen dreifachen Mord, den sie begangen hatte, um die Ehre ihrer Tochter wiederherzustellen. Vermutlich war das eigentliche Motiv eher Isobels eigenes Ansehen oder die Stimme des Heiligen Geistes, der von seiner Dienerin gefordert hatte, in Gottes Namen zu handeln. Sie hatte immer geahnt, dass mit ihrer Mutter etwas nicht stimmte, und dafür ihre übertriebene Religiosität verantwortlich gemacht. Auch jetzt wirkte der leicht entrückte Blick auf Zoe vertrauter, als es vermutlich sein sollte. Dass sich dahinter eine psychische Erkrankung verbarg, konnte Zoe kaum begreifen.
    Die Ärzte hatten sie und Leon gebeten, ihr Gespräch möglichst banal zu gestalten, weil Isobel sich mitten in einer Therapie befand. Keine Fragen über den Tathergang, weil es den Behandlungsverlauf empfindlich stören würde. Zoe verbannte die tausend Fragen aus ihrem Kopf und blickte ihre Mutter an. Sofort überkam sie eine traurige Leere.
    »Warum siehst du mich so besorgt an, Kind?« Isobels Stimme klang belegt. Vermutlich von den Medikamenten.
    »Na ja, weil … weil du hier bist.«
    Die Augen ihrer Mutter weiteten sich überrascht. »Aber das ist doch kein Grund, traurig zu sein! Es spielt keine Rolle, an welchem Ort ich mich befinde, mein Gefängnis trage ich im Herzen. Gott ist bei mir. Hier werde ich gebraucht. Diese armen Seelen benötigen dringend meine Unterstützung.«
    Sie blickte zu Leon hinüber, der ihre Mutter entwaffnend anstrahlte. Ihm gelang es, eindeutig unbefangener mit einer Verrückten umzugehen. Zoe schluckte. Anscheinend hatte ihre Mutter endgültig den Bezug zur Realität verloren.
    Während ihres Gesprächs versuchte Zoe einige Male, ihrer Mutter von allgemeinen Begebenheiten zu erzählen, um ihre eigene Anspannung ein wenig zu lockern. Doch diese blockte ab und erzählte stattdessen ausschweifend vom Klinikalltag, als befände sie sich in einem ausgedehnten Erholungsurlaub. Vielleicht war es besser, wenn sie daran glaubte. Einige Male glitt sie in ihre altbewährte Predigerrolle, was die Umstehenden anzulocken schien wie eine Glühlampe die Motten.
    Der Pfleger schien Zoes fragenden Blick zu bemerken und beugte sich zu ihr hinab. »Sie wähnt sich hier inmitten einer Gemeinde von Gläubigen.«
    Zoe nickte, nicht weniger irritiert als vor der gutgemeinten Erklärung.
    Plötzlich griff Zoes Mutter über den Tisch und legte sanft ihre Hände auf Zoes. »Hör zu, Kind! Alles ist gut.« Ihr Blick war klar und ernst, wie es Zoe seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte.
    »Es ist besser so, das musst du doch begreifen! Er hat dich bereits ein Mal zerstört. Ich konnte nicht tatenlos mitansehen, wie er sein teuflisches Werk weiterführt.«
    Als sie ihre Hand wegzog, hätte Zoe am liebsten danach gegriffen, wagte aber nicht, sich zu rühren.
    Ihre Mutter erhob sich von ihrem Stuhl. »Nun habe ich aber keine Zeit mehr zu plaudern. Wie du siehst, werde ich erwartet.« Sie strich den Rock ihres Kleides glatt. »Besucht mich mal wieder!«
    Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging durch den Aufenthaltsraum. Kaum jemand hörte ihre gemurmelten Bibelzitate.
    Zoes Herz zog sich zusammen, als sie begriff, dass ihrer Mutter schon immer ihre Gemeinde am wichtigsten gewesen war. Sie sah ihre Tochter nicht mehr an, schien nicht zu bemerken, dass sie ging.
    Leon ergriff Zoes Hand und schickte ihr mit einem sanften Druck einen stillen
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