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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske
Autoren: Helene Henke
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ihrer Mutter umspielte, wurde die Botschaft unmissverständlich.
    Zoe konnte das Schluchzen nicht mehr zurückhalten und stützte sich schwer auf ihre Krücke.
    »Ich liebe dich auch, Mama.«

    Hinter ihrer Mutter fraß sich das Feuer an den Holzwänden hoch. Der erste Balken krachte von der Decke herab und polterte die Treppe hinab. Die Polizisten drückten sich gegen die Wand, um sich gegen die stobenden Funken zu schützen. Eine brennende Bodenklappe wurde aufgestoßen, aus der endlich Leon geklettert kam. Anscheinend hatte er eine Weile gebraucht, um das Schloss des ungenutzten Aufstiegs aufzubrechen. Sofort war er bei Zoes Mutter, umfasste ihre Taille und riss sie an sich. Sie wehrte sich nicht. Wie eine übergroße Marionette ließ sie sich von ihm die Treppe hinunterhelfen. Zwei Polizistinnen lösten sich aus ihrer Mannschaft und nahmen die Frau in Gewahrsam.
    Zoe bekam kaum mit, wie Leon sie kurz darauf hinausführte, damit der Löschtrupp seine Arbeit verrichten konnte. Ein feiner Schweißfilm bildete sich auf ihrer Stirn, ihre Fingerspitzen kribbelten. Das Atmen fiel ihr schwer. Inzwischen brannte das Kuppeldach des Turms lichterloh und erhellte den abendlichen Himmel wie eine überdimensionale Kerze. Schwarzer Rauch vertrieb die unheilvollen Geister der Vergangenheit. Hinter Zoe fuhr der Polizeiwagen mit ihrer Mutter davon. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie zuckte zusammen, als Leon hinter sie trat und ihr eine Decke um die Schultern legte. Zusammen blieben sie im Garten stehen. Das intensive Aroma der Engelstrompeten überlagerte den Rauchgeruch.
    »Komm, ich bringe dich erst einmal ins Haus«, sagte Leon nach einer Weile.
    Mechanisch setzte sie sich unter dem sanften Druck seiner Hand in ihrem Rücken in Bewegung. Immer noch standen Schaulustige am Straßenrand. Doch Zoe fühlte sich zu ausgelaugt, um die Gaffer anzuschreien.
    Sie durchquerten den Ladenbereich, der von weiteren Beamten durchsucht wurde. Die Geräusche drangen nur gedämpft an ihre rauschenden Ohren. Erst die angrenzende Halle brachte wohltuende Stille. Die Flügeltür zum Bestattungssaal stand offen. Statt die Treppe hinauf in ihr Zimmer zu gehen, steuerte sie auf die festlich geschmückte Halle zu. Im Türrahmen blieb sie stehen. Alles war für eine anstehende Beerdigungsfeier vorbereitet. Sie brauchte morgen früh nur noch herunterzukommen und die Trauernden diskret bei ihrem Abschied zu begleiten.
    Ein dumpfer Schmerz pulsierte in ihrem Inneren. Mit harten Fingern griff eine Einsamkeit nach ihr, die sie nicht wieder losließ. In einer Geste der Ergebenheit hob Zoe die Arme und ließ sich auf einen der rotgepolsterten Stühle sinken.
    »Meine Mutter hat sich um alles gekümmert. Akribisch wie immer. Und dann beschließt sie im nächsten Moment, sich in der Kapelle anzuzünden.«
    Sie schüttelte den Kopf. Schuldgefühle nagten an ihr, obgleich sie sich nicht einmal erklären konnte, wofür.
    Leon setzte sich neben sie. »Hör mir zu, bitte! Es hat keinen Sinn, das Schicksal zu hinterfragen oder die Schuld bei sich selbst zu suchen. Du hast eben verhindert, dass sie sich selbst anzündet.«
    Zoe nickte, obwohl sie noch nicht in der Lage war, ihm zuzustimmen.
    »Dafür konnte ich aber nicht verhindern, dass sie drei Menschen tötet.«
    Ihre eigene Stimme klang fremd, als sie das Unvorstellbare aussprach. Doch niemand hat je behauptet, dass die Wahrheit ein sanftes Glockenspielchen sei. Ihr wäre lieber gewesen, wenn Leon versucht hätte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Doch er atmete nur hörbar aus. Sein Schweigen wog mehr als tausend Worte. Die Würde des Raumes ergoss sich plötzlich wie ein Klagelied über Zoe. Ihre Füße versanken im Morast des weichen Teppichs. Die weißen Paneele der Wände wirkten wie Brustharnische immer näher rückender Gardesoldaten.
    Leons Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
    »Das habe ich in der Kammer hinter der Kanzel gefunden.« Er hielt ihr ein Schminktäschchen hin, das sie mit gerunzelter Stirn ergriff.
    »Das gehört mir. Es war irgendwann einfach verschwunden. Seltsam.«
    Ihre Mutter musste es aus ihrem Bad geholt haben. Demnach dürfte sie dort auch ihre Schmink- und Modellierutensilien gefunden haben. Ob sie auch von ihren nächtlichen Ausflügen gewusst hatte? Unbehaglich kaute Zoe auf ihrer Unterlippe, während sie den Reißverschluss aufzog, um den Inhalt zu überprüfen. Zu ihrem großen Erstaunen fand sie darin vier Mehrwegspritzen aus Glas an der Stelle, die für Mascara und
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