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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
Autoren: Kurt Vonnegut
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EINFÜHRUNG
    Ich vertraue meinem Schreiben am meisten, und andere scheinen meinem Schreiben am meisten zu vertrauen, wenn ich mich am meisten anhöre wie jemand aus
Indianapolis, und ich bin jemand aus Indianapolis.
    Wir hätten genausogut mit Sahnetörtchen schmeißen können.
    (Kurts Einschätzung des Netto-Effekts der Antikriegsbewegung auf den Verlauf des Vietnamkriegs)
    S chreiben war eine spirituelle Übung für meinen Vater, das einzige, woran er wirklich glaubte. Er wollte die
Dinge zum Beßren wenden, glaubte aber nie, daß sein Schreiben viel Effekt auf den Lauf der Dinge haben würde. Seine Vorbilder waren Jonas, Lincoln, Melville und Twain.
    Er schrieb um und um und um und maulte das, was er gerade geschrieben hatte, immer und immer wieder vor sich hin, neigte den Kopf nach hinten und vorn, fuchtelte mit den Händen und
veränderte Tonfall und Rhythmus der Wörter. Dann hielt er inne, fetzte das kaum betippte Blatt Papier aus der Schreibmaschine, zerknüllte es, warf es weg und fing wieder von vorne
an. Für einen Erwachsenen schien das ein seltsamer Zeitvertreib, aber ich war erst ein Kind und wußte nicht viel.
    Was Sprache betraf, hatte er einen zusätzlichen Gang eingebaut. Mit über achtzig Jahren löste er immer noch die Kreuzworträtsel in der New York Times , schnell, mit Tinte und ohne fremde Hilfe. Sobald ich ihm sagte, daß das Verb am Schluß kommt, konnte er meine lateinischen Schulaufgaben vom Blatt
weg übersetzen, ohne je Latein gehabt zu haben. Seine Romane, Reden, Kurzgeschichten und sogar Kurzempfehlungen für Schutzumschläge sind sehr sorgfältig gearbeitet. Wer glaubt,
Kurts Witze oder Essays wären ihm leichtgefallen oder er hätte sie aus dem Ärmel geschüttelt, hat noch nie was geschrieben. Einer seiner Lieblingswitze war der mit dem Typ, der
Schubkarren schmuggelt. Jeden Tag und Jahr für Jahr durchsucht ein Zöllner sorgfältig die Schubkarre des Typen.
    Schließlich, kurz vor seiner Pensionierung, fragt der Zöllner den Typ: »Wir sind Freunde geworden; seit vielen Jahren durchsuche ich täglich Ihre Schubkarre. Was schmuggeln
Sie eigentlich?«
    »Mein Freund, ich schmuggle Schubkarren.«
    Kurt lachte oft so heftig über seine eigenen Witze, daß er vornübergebeugt, den Kopf im Schoß, nach oben blickte. Wenn dann noch ein Hustenanfall dazukam, konnte es ein
bißchen beängstigend werden.
    Als ich mich beschwerte, weil ich fünfzig Dollar für einen Artikel bekam, an dem ich eine Woche lang geschrieben hatte, sagte er, ich sollte bedenken, wieviel mich
eine zweiseitige Anzeige gekostet hätte, in der stand, ich könne schreiben.
    Jeder, der schrieb oder zu schreiben versuchte, war für Kurt etwas Besonderes. Und er wollte helfen. Mehr als einmal hörte ich, wie er langsam und sorglich mit
Betrunkenen sprach, die es geschafft hatten, ihn telefonisch zu erreichen, und ihnen sagte, was man anstellt, damit eine Geschichte oder ein Witz, der mit der Schubkarre, funktioniert.
    »Wer war das?«
    »Weiß ich doch nicht.«
    Wenn Kurt schrieb, war er auf der Pirsch. Er wußte, weil es bereits geschehen war, daß er, wenn er nur nicht stehenblieb, vielleicht über etwas Gutes stolperte
und es so lange bearbeiten und überarbeiten konnte, bis er es sich zu eigen gemacht hatte. Aber sooft es auch passierte, so wenig Selbstvertrauen hatte Kurt. Er machte sich Sorgen, daß
jede gute Idee, die er hatte, seine letzte sein mochte und daß jeder offensichtliche Erfolg ausdorren und davonwehen konnte.
    Er machte sich Sorgen, weil er dünne Beine hatte und kein guter Tennisspieler war.
    Es bereitete ihm Schwierigkeiten, es sich gutgehen zu lassen, aber er konnte die diebische Freude nicht ganz verbergen, die es ihm machte, daß er gut schrieb.
    Die unglücklichsten Zeiten in seinem Leben waren diese Monate und manchmal ein ganzes Jahr, wenn er nicht schreiben konnte, wenn er »blockiert« war. Er versuchte so ziemlich
alles, um die Blockade zu lockern, aber die Psychiatrie machte ihn nervös und argwöhnisch. In meinen frühen bis mittleren Zwanzigern plauderte er seine Befürchtung aus,
daß Therapie ihn normal und ausgeglichen machen könnte, und dann wäre Schluß mit dem Schreiben. Ich versuchte, ihn zu beruhigen, Psychiater wären aber auch nicht
annähernd so gut.
    »Wenn man nicht klar schreiben kann, denkt man wahrscheinlich nicht annähernd so gut, wie man denkt, daß man denkt«, sagte er mir. Wenn Sie je etwas von ihm schlampig
finden, haben Sie vielleicht recht, aber
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