Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske
Autoren: Helene Henke
Vom Netzwerk:
buschigen Augenbrauen streng zusammengezogen, schien er sich einen Laserblick zu wünschen, um den Bastard samt seinem angeberischen Cabriolet in seine atomaren Einzelteile zu zerlegen. Für Josh hatte Boris keinen Namen mehr, er nannte ihn Bastard und fand, es wäre großzügig genug, ihm zumindest seinen Anfangsbuchstaben zu lassen.
    »Seit wann ist er wieder hier?« Die Worte kamen etwas gepresst durch Zoes zusammengeschnürte Kehle.
    »Keine Ahnung. Vor ein paar Tagen ließ er sich mit seinen Kumpeln auf dem Schulhof beweihräuchern. Die Spinner sind um ihn herumscharwenzelt, als wäre er ein Held. Ein Lehrer hat ihm sogar auf die Schultern geklopft.« Josh schob empört seine Brille zurück an ihren Platz.
    Er fing an, zu schwitzen, weil er sich aufregte.
    »Na ja, sie hatten große Pläne mit ihrem Sportass«, erwiderte Zoe tonlos.
    »Du verteidigst den Kerl? Geht’s noch? Du bist doch nicht immer noch in ihn verknallt?«
    »Du bist so was von kindisch!« Sie boxte ihm gegen die Schulter.
    Josh taumelte ein Stück nach hinten, sein T-Shirt flatterte um seine dürre Brust.
    Im selben Moment tat es Zoe schon wieder leid, so fest zugeschlagen zu haben. Sie war immer die Kräftigere von ihnen gewesen und hatte Josh während ihrer Schulzeit aus mancher Prügelei herausgeholfen.
    Wenigstens war sie jetzt wütend. Damit konnte sie mehr anfangen als mit dem Schrecken, den Boris’ Anblick in ihr ausgelöst hatte. Endlich fand sie ihre Schlüssel und öffnete den Kofferraum, um sich den Blick auf die andere Straßenseite zu versperren. Mit zusammengepressten Lippen packte sie ihre Einkäufe ein.
    »'tschuldigung«, nuschelte Josh neben ihr betreten und fuhr sich mit der Hand durch seine störrischen Haare.
    Zoe schlug den Kofferraumdeckel wieder zu und starrte auf die Rückscheibe. Undeutlich erschien ihr Spiegelbild. Ihr normaler Gesichtsausdruck kam schon nicht dem eines Sonnenscheins gleich, auch wenn ihr herzförmiger Mund mit den nach oben zeigenden Winkeln ein Lächeln anzudeuten schien. Ihr ernster Blick erstickte jeden Gedanken daran im Keim. Dafür konnte Zoe nichts. Ihre geschwungenen Augenbrauen liefen nun einmal in der Mitte zu einem Spitzbogen zu, was ihrem Gesicht angeblich eine dämonische Note verlieh. Eine moderne Variante für den bösen Blick.
    Gegen die Zornesfalte auf ihrer Nasenwurzel sollte sich etwas unternehmen lassen. Sie brauchte nur zu verhindern, noch einen Blick auf das Cabriolet zu werfen.
    »Kommst du mit zum Angeln?«, fragte Josh versöhnlich. »Nach dem Unwetter steht das Wasser im See hoch, und es gibt jede Menge Fische.«
    Zoe wandte sich zu ihm um. »Du weißt doch, ich habe es nicht so mit Toten«, meinte sie mit einem Lächeln.
    Josh starrte sie mit großen Augen an. Einen Moment behielt sie ihren gespielt empörten Gesichtsausdruck bei, bis sie beide lachen mussten.
    »Aber ich gehe ein Stück mit, bis zum Gemüseladen an der Ecke.« Sie zog Josh mit sich.
    Gemeinsam schlenderten sie die heckengesäumte Straße entlang. Nur nicht zurückblicken! Einfach ignorieren. Wenn das mal so einfach gewesen wäre!
    Auf Josh konnte sie nicht lange sauer sein. Sie mochte den schmalgesichtigen Jungen mit der viel zu großen Brille. Kontaktlinsen lehnte er generell ab, weil sie ein zu hohes Risiko für bakterielle Entzündungen bargen. Zoe amüsierte sich regelmäßig über seine altklugen Sprüche. Er lief neben ihr her und trat eine leere Getränkedose über den Bordstein. Das lag Jungs wohl im Blut, auch wenn es für die Aufnahme im Fußballverein nicht reichte. Wenn sie Zeit gehabt hätte, wäre sie auch mit ihm zum See gegangen. Sie mochte es, einfach auf dem Steg zu sitzen und die Stille zu genießen. Überhaupt war Josh einer der wenigen Menschen, die Zoe in ihrer Nähe ertragen konnte. Grundsätzlich zog sie die Gesellschaft von Toten vor, weil sie niemals forderten. Josh forderte auch nicht. Nur einmal war Zoe bei ihm zu Hause gewesen, danach nie wieder. Er lebte mit seinem Vater weit außerhalb der Dörfer auf einem heruntergekommenen Hof. Früher war dort Wein angebaut worden, doch seit Jahren überwucherten verlassene Ranken das Gelände. Kaum vorstellbar, dass es elektrische Leitungen in dieser Einöde gab. Abwasserleitungen sicher nicht, denn der Gestank der angrenzenden Sickergrube überlagerte das Gelände bis zum Grenzzaun, vor dem Zoe damals gewartet hatte. Seit Joshs Vater eine Pension aus der Landwirtschaftskasse bezog, arbeitete er nicht mehr. Das Geld reichte für den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher