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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia
Autoren: Barbara Krohn
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anzuschlagen, ihre Aufregung in den Griff zu bekommen, aber es misslang.
    »Ich weiß.« Er sah sie nicht an, sondern blickte durch seine Sonnenbrille an ihr vorbei. Das eigentümlich starre Lächeln wich nicht von seinem Mund.
    »Woher …?«
    »Mein Vater hat mich informiert«, sagte Franco.
    Ihr Herz zog sich zusammen. Sie hatten die Brücke hinter sich und steuerten nun an dem ersten Restaurant vorbei auf die Stege mit den Fischerbooten zu. Überall waren Menschen, echte und falsche Passanten. Sie waren nicht allein. Zu wissen, dass Gentilinis Leute sie im Auge behielten, gab Luzie ein wenig Sicherheit.
    »Wieso dein Vater?«, fragte sie tapfer. »Der kennt mich doch gar nicht.«
    »Mein Vater kennt jeden«, sagte Franco, und es hörte sich großspurig und kleinlaut zugleich an. »Er sieht alles, er weiß alles, er findet alles heraus. Man kann ihm nicht entkommen.«
    Der spinnt doch, dachte Luzie. Der hat eindeutig ein Kindheitstrauma, der Alte hat ihn bestimmt bei irgendwas Blödem erwischt, beim Onanieren oder beim Bettnässen oder Geldklauen. Mit irgendetwas musste sie sich Mut machen.
    »Er hat mich gefragt, wem ich die Wohnung in der Via Palepoli vermietet habe – einer Deutschen, habe ich gesagt – heißt sie Luzia Zorn, hat er gefragt – warum fragst du, wenn du es schon weißt, habe ich gesagt – ist sie Antonios Tochter, hat er gefragt – ja, habe ich gesagt …«
    Es war entsetzlich, wie er redete. Es hörte sich an wie eine Litanei. Franco Fusco blieb stehen, packte Luzie an den Oberarmen. »Aber keine Angst, er wird dir nichts tun, Luzia Zorn, dir nicht, ich beschütze dich!«
    Luzie machte sich frei.
    »Du hast mich belogen«, sagte sie leise, aber bestimmt. Sie blieben nebeneinander stehen und blickten auf das Wasser und die bunten Fischerboote, und wer den Satz nicht gehört hatte, wie Sonja und Gentilini, hätte denken können, dass die attraktive junge Frau soeben einen banalen Sonntagvormittagssatz der Sorte »Wo gehen wir heute essen, Schatz« von sich gegeben hatte.
    »Du hast mich belogen«, wiederholte Luzie. »Antonio ist seit zwanzig Jahren tot!«
    Er sah sie nicht an. Er starrte dem Satz hinterher, den
    sie wie einen Kiesel über die glatte Wasseroberfläche geditscht hatte. Der Satz versank, aber im Versinken produzierte er Kreise, immer weitere Kreise, die sich durch sein Hirn fraßen und ihn ganz verrückt machten.
    »Warum?«, fragte Luzie. »Warum? Ich verstehe das nicht. Warum hast du mir nicht gesagt, dass er tot ist? Es hätte doch nichts geändert!« Bei den letzten Worten war ihre Stimme lauter geworden, und ein unbeteiligter Beobachter hätte vielleicht denken können, dass hier eine klitzekleine Auseinandersetzung stattfand, wie es sie in allen Familien und Paaren gab, vorzugsweise am Sonntag.
    Noch mehr Kiesel und noch mehr Kreise, immer mehr Kreise. Verwirrt sah Franco Fusco sie an, als hätte er die Sache noch nie von dieser Seite betrachtet. Er nahm die Sonnenbrille ab, sein Blick spiegelte kindliches Erstaunen, sie registrierte jetzt erst, dass er sich beim Rasieren offenbar geschnitten hatte. »Du hast Recht«, murmelte er. »Es hätte nichts geändert.«
    »Hattest du Angst, dass ich zusammenbreche und anfange zu heulen, ist es das? Kannst du keine weinenden Frauen ertragen?«
    Neinneinnein, er schüttelte heftig den Kopf und blickte wieder auf das Wasser, als suche er nach einem Anhaltspunkt, nach etwas, woran er sich festhalten könnte, eine Boje, ein Boot, das ihn mit fortnähme.
    »Wie konntest du mir nur erzählen, dass Antonio auf einer langen Reise ist!«, fuhr Luzie fort. Sie spürte die Tränen, die in ihrer Stimme vibrierten, aber auch die Wut, die sie festigte.
    »Aber er ist doch auf einer langen Reise«, sagte Franco Fusco überrascht, »auf einer sehr langen Reise. Ich selbst habe ihm das Ticket dafür besorgt …«
    Luzie schwieg verblüfft. Sie wartete. Franco setzte sich wieder in Bewegung, er achtete nicht mehr darauf, ob sie ihm folgte oder nicht. Er ging weiter am Ufer entlang, bis sie zu einer Stelle kamen, an der ein älterer Angler soeben sein Angelzeug zusammenpackte. Franco beugte sich über den Eimer des Anglers. »Was gefangen?«
    »Eine Dorata und eine kleine Meeräsche«, erwiderte der Mann kurz angebunden.
    »Ich gehe auch gern angeln«, sagte Franco, so wie ein Kind zu einem anderen sagt, dass es auch einen Gameboy hat. Der Mann reagierte nicht. Franco ging weiter, Luzie folgte ihm. Direkt vor einer Pinie, die am Rand der
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