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Die Toten von Bansin

Die Toten von Bansin

Titel: Die Toten von Bansin
Autoren: Elke Pupke
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Jenny völlig egal. Sie würde sich in einer Stadtwohnung genauso wohlfühlen. Immerhin entspricht dieser luxuriöse Bungalow in märchenhafter Waldrandlage, den ihr Mann selbst entworfen und gebaut hat, ihrem Repräsentationsbedürfnis. Sie lacht bitter auf. Es ist alles nur Fassade. Ihre glückliche Ehe mit dem attraktiven Architekten Frank Sonnenberg, das perfekte Paar, beide groß, gutaussehend und schlank, beide kultiviert, wohlhabend, freundlich und aufgeschlossen und höflich im Umgang miteinander. Ja, das ist es: höflich. Mehr nicht. Keine Zärtlichkeiten mehr, keine Vertrautheit, nicht einmal Freundschaft. Nur noch die Fassade, die bereits bröckelt und jederzeit zusammenbrechen kann.
    Jenny setzt sich an ihren Schreibtisch und schaltet den PC aus. Sie wird die E-Mails später beantworten, jetzt ist sie zu wütend, da wird sie schnell unfreundlich und vergrämt die Kunden. Noch vor einem Jahr hätte sie so eine Stornierung kaum aufgeregt. Aber inzwischen ist sie auf jeden Auftrag angewiesen. Nicht einmal ihr eigener Ehemann ahnt, wie schlecht es um die Agentur steht. Ob es den überhaupt interessieren würde? Er verdient gut, eigentlich brauchen sie ihre Einnahmen gar nicht.
    Aber für Jenny ist es so ziemlich das Schlimmste, was sie sich vorstellen kann: zugeben zu müssen, dass sie als Geschäftsfrau gescheitert ist. Es ist ihr ganzer Lebensinhalt, eine Figur, die sie über Jahre hinweg aufgebaut hat: die schöne, kühle, erfolgreiche Geschäftsfrau. Was bleibt noch übrig, wenn sie das nicht mehr ist? Eine Frau mittleren Alters, ohne Kinder, ohne Beruf – ihr in der DDR begonnenes Studium hat sie 1989 abgebrochen –, ohne Geld und vielleicht auch ohne Ehemann.
    Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte sich ihr Leben innerhalb eines Jahres so verändern? Wie eine heiße Flut steigt Hass in ihr auf. Nicht auf Frank. Er ist ein großer Junge, lieb und freundlich, er lebt in den Tag hinein, ohne sich allzu viel Gedanken zu machen. Nur sein Beruf ist ihm wichtig, da ist er richtig gut und mühelos erfolgreich.
    Jenny weiß, dass er sie betrügt und nimmt es ihm nicht einmal übel. Sie war schon immer etwas kühl, hat nie großen Wert auf Sex oder auch nur auf Zärtlichkeit gelegt und wenn er sich woanders holt, was er braucht – was soll’s. Es war nie etwas Ernstes, hat ihre Ehe nie gefährdet.
    Jetzt ist alles anders. Die Agentur geht den Bach hinunter. Die Gewinne reichen selbst im Sommer kaum noch aus, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und es besteht keine Aussicht auf Besserung, im Gegenteil.
    Und gleichzeitig scheint Frank ihr zu entgleiten. Er schläft kaum noch mit ihr, in den letzten Monaten war ungewöhnlicherweise sie es, die im Bett die Initiative ergriff, um wenigstens den Anschein einer normalen Ehe zu erhalten.
    Aber wozu? Jenny ballt unwillkürlich die Hände zusammen und zerknüllt ein Blatt Papier auf ihrem Schreibtisch. Sie muss endlich etwas tun, bevor ihr ganzes Leben wie ein Kartenhaus zusammenbricht! Sie muss sich der Situation stellen, Prioritäten setzen und wenn es sein muss, wird sie kämpfen, um die Dinge, die ihr wichtig sind. Sie überlegt, ob es lohnt, an der Agentur festzuhalten. Es macht einfach keinen Spaß mehr, weil es keine Entwicklung gibt, die ihren Ehrgeiz befriedigt. Sie denkt über Alternativen nach.
    Ein Hotel zu betreiben, war schon lange ihr Traum. Ein exklusives Haus, nichts für die Masse, sondern für Gäste, die sich das Besondere etwas kosten lassen. Sie hatte sogar schon ein geeignetes Objekt gefunden und ein Konzept entwickelt, nach dem Frank die alte Villa umbauen sollte. Aber dann verweigerte die Bank den Kredit. ›Blöde Provinzspießer‹, denkt Jenny und sieht Manfred Jahn vor sich. Der Bankangestellte hatte ihr nicht einmal richtig zugehört, sondern das Projekt von vornherein abgelehnt. Das Risiko sei zu groß, die Kosten im Verhältnis zur Bettenzahl zu hoch.
    Aber inzwischen hat sich einiges im Ort verändert. Sicher, Mittelklassehotels gibt es genug und Ferienwohnungen sogar zu viele. Es gibt überhaupt schon zu viele Gästebetten. Heißt die Devise nicht neuerdings Qualität statt Quantität ? Das wäre doch ein Ansatz für ein Gespräch mit der Bank. Aber zunächst wird sie sich nach einem neuen Objekt umsehen. Nur nichts überstürzen, diesmal lässt sie es langsam angehen.
    Von
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