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Die Toten von Bansin

Die Toten von Bansin

Titel: Die Toten von Bansin
Autoren: Elke Pupke
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verzichtet auf das Joggen und genießt die Stille bei langen Spaziergängen, auf denen ihn manchmal sogar seine Tochter begleitet.
    Er öffnet die Fahrertür und lässt sich auf den Sitz fallen. Auf dem Beifahrersitz liegt eine Wasserflasche. Er schraubt sie auf und nimmt einen tiefen Zug. Schon bevor er schluckt, durchfährt ihn der Schreck. Er schmeckt Alkohol, reinen Wodka anscheinend. Der Mann reißt die Autotür auf und spuckt auf den Waldboden. Aber es ist zu spät, er spürt, wie etwas von der scharfen Flüssigkeit die Kehle hinunterrinnt. Ihm wird glühend heiß und er beginnt zu zittern.
    Er muss überlegen, wer ihm das angetan hat und warum, aber er kann keinen klaren Gedanken fassen, er hat nur noch Angst. Irgendwann greift er unter einen Lappen in der Türablage und holt den Autoschlüssel hervor.
    Auch Berta liebt den Herbst. Es ist so viel Platz am Strand, die meisten Strandkörbe sind schon in ihren Winterquartieren, es sind nur noch wenige Urlauber da. Vereinzelte Menschen spazieren dicht am Wasser entlang, viele mit Hunden. Eine Familie versucht, einen Drachen steigen zu lassen, aber der Wind reicht nicht aus.
    Schon immer war der Oktober der Monat des Aufatmens, der Ruhe, nach lauten, anstrengenden Wochen. Früher konnte sich ihre Mutter, nachdem die Pensionsgäste abgereist waren, endlich wieder ihren Kindern widmen, die den ganzen Sommer hindurch von der etwas strengen Großmutter betreut wurden. Dieser Rhythmus bestimmt eigentlich bis heute Bertas Leben ebenso wie das aller anderen Bansiner. In den wenigen Sommerwochen muss das Geld für ein ganzes Jahr verdient werden, es bleibt kaum Gelegenheit zum Luftholen, schon gar nicht, um den Strand und das Meer zu genießen.
    Während der DDR-Zeit gehörte das Haus dem FDGB, der größten Gewerkschaft des Landes, und wurde ganzjährig genutzt, im Sommer von Urlaubern, im Winter waren Kurgäste da. So blieb gar keine Zeit, etwas am Haus zu machen, selbst wenn die Mittel oder das Baumaterial vorhanden gewesen wären. Es wurde immer nur das Nötigste repariert. So war die schöne alte Villa ziemlich heruntergewohnt, als Berta den Familienbesitz wiederbekam.
    Für sie war diese Rückübertragung damals völlig überraschend gekommen. Sie investierte all ihre Ersparnisse und nahm zudem einen kleinen Kredit auf, um wenigstens das Dach erneuern zu lassen. Und sie leistete sich einen schneeweißen Außenanstrich, auf dem nun der alte Hausname zu lesen war.
    Ohne eine feste Vorstellung, wie es weitergehen sollte, nahm sie den Hotelbetrieb wieder auf. In der Zeit des Aufbruchs lief es zunächst gar nicht schlecht, es gab noch nicht viel Konkurrenz, aber viele Bauarbeiter und Vertreter, die preiswerte Unterkünfte suchten und keine hohen Ansprüche stellten. Auch die Gaststätte brachte gute Einkünfte, Berta kochte gut und preiswert und die Einheimischen fanden im Kehr wieder eine der letzten Kneipen, in der sie sich wohlfühlten und die sie sich leisten konnten.
    Aber nach einigen Jahren genügte der DDR-Standard nicht mehr und sie musste eine Entscheidung treffen. Es widerstrebte ihr, das Haus zu verkaufen. Sie ist zwar nicht besonders abergläubisch, aber dennoch davon überzeugt, dass sich ihre Eltern und Großeltern im Grab umdrehen würden, wenn sie den Familienbesitz wieder aus der Hand gäbe.
    Davon abgesehen, waren ihr auch die sogenannten Investoren, die ihr schon unmittelbar nach der Rückübertragung die Tür einliefen, äußerst suspekt. Einige gaben offen zu, dass sie hier schnell viel Geld verdienen wollten. Die anderen, die sie noch weniger mochte, erzählten ihr etwas von ihrer plötzlich entdeckten Liebe zu dem herrlichen Seebad, dem Haus oder gar den Einwohnern, denen sie uneigennützig helfen wollten, sich in der Marktwirtschaft zurechtzufinden. Manch einer saß an ihrem Stammtisch, redete auf sie ein und füllte ihr Glas immer wieder mit ihrem bevorzugten Rotwein. Berta hatte den Chianti für sich entdeckt, der ihr schmeckte und den sie sehr gut vertrug. Jedenfalls besser, als ihr Besucher ahnte. Dieser glaubte, mit der naiven alten Frau, die völlig weltfremd schien und keine Ahnung hatte, was sie da eigentlich besaß, ein leichtes Spiel zu haben. Im späteren Verlauf des Abends war es dann Berta, die nachschenkte, Fragen stellte und das Gespräch in eine ihr genehme Richtung lenkte.
    Nachdem sie einigen dieser
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