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Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges

Titel: Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Autoren: Anne Golon
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Kapitel 1
    1646
    N ounou«, fragte Angélique, »warum hat Gilles de Retz so viele kleine Kinder umgebracht?«
    »Für den Satan, mein Kind. Gilles de Retz, der Menschenfresser von Machecoul, wollte der mächtigste Herr seiner Zeit sein. In seinem Schloss stand alles voller Destillierkolben, Phiolen und großen Kesseln mit roter Brühe, aus denen abscheuliche Dämpfe aufstiegen. Der Teufel verlangte als Opfergabe das Herz eines kleinen Kindes. Damit begannen die Verbrechen. Und die verzweifelten Mütter deuteten mit dem Finger auf den schwarzen Turm von Machecoul, um den ständig Raben kreisten, weil so viele Leichen unschuldiger Kinder in den Verliesen lagen.«
    »Hat er die alle gefressen?«, fragte Angéliques jüngere Schwester Madelon mit zitternder Stimme.
    »Nicht alle, das hätte er gar nicht geschafft«, antwortete die Amme.
    Sie beugte sich über den Kessel, in dem Speck und Kohl vor sich hin köchelten, und rührte eine Weile schweigend in der Suppe. Hortense, Angélique und Madelon, die drei Töchter des Barons de Sancé de Monteloup, warteten, den Löffel neben ihren Suppenschalen erhoben, gespannt darauf, dass sie weitererzählte.
    »Er tat Schlimmeres«, fuhr die Amme mit bitterer Stimme schließlich fort. »Zuerst ließ er das verschreckte, laut nach
seiner Mutter rufende arme Ding zu sich bringen, während er selbst auf einem Bett lag und sich an seiner Angst weidete. Dann befahl er, das Kind an einer Art Halterung an der Wand aufzuhängen, die ihm die Brust und den Hals zuschnürte, sodass es kaum noch Luft bekam. Das Kind wehrte sich wie ein aufgehängtes Hühnchen, seine Schreie erstarben, die Augen traten ihm aus den Höhlen, es lief blau an. Und im großen Saal hörte man bloß das Lachen der grausamen Männer und das Stöhnen des kleinen Opfers. Dann ließ Gilles de Retz es wieder abnehmen. Er hob das Kleine auf seinen Schoß, drückte den Kopf des armen Engelchens an seine Brust und beruhigte es mit sanfter Stimme.
    ›Das war doch gar nicht so schlimm‹, sagte er. Sie hätten nur ein wenig Spaß haben wollen, aber jetzt wäre alles vorbei. Das Kind würde bunte Zuckermandeln bekommen, ein schönes Federbett und einen seidenen Anzug wie ein kleiner Page. Das Kind beruhigte sich. Freude glomm in seinen tränennassen Augen auf. Und in diesem Moment stieß ihm der Herr mit aller Kraft seinen Dolch in den Hals. Aber das Allerfurchtbarste geschah, wenn er junge Mädchen entführte.«
    »Was machte er denn mit ihnen?«, fragte Hortense.
    Da mischte sich der alte Guillaume ein, der neben dem Kamin saß und eine Tabakkarotte rieb.
    »Seid doch still, verrückte Alte!«, brummte er in seinen gelblichen Bart. »Bei Eurem albernen Geschwätz wird sogar einem alten Soldaten wie mir ganz anders.«
    Hitzig schwang die dralle Fantine Lozier zu ihm herum.
    »Albernes Geschwätz...? Man merkt, dass Ihr nicht aus dem Poitou stammt, Guillaume Lützen, ganz gewiss nicht. Geht nur hoch Richtung Nantes, dann seht Ihr schon bald das verfluchte Schloss von Machecoul. Es ist jetzt zweihundert Jahre her, seit die Verbrechen begangen wurden, und die Menschen
bekreuzigen sich immer noch, wenn sie in seine Nähe kommen. Aber Ihr seid ja nicht von hier, Ihr wisst nichts über die Ahnen dieser Gegend.«
    »Schöne Ahnen, wenn sie alle so sind wie Euer Gilles de Retz!«
    »Gilles de Retz war ein so großer Sünder, dass kein Landstrich außer dem Poitou sich rühmen kann, je einen solchen Verbrecher gekannt zu haben! Und als er starb, nachdem er in Nantes vor Gericht gestellt und verurteilt worden war, und dabei seine Sünden bekannte und Gott um Verzeihung anflehte, da legten all die Mütter, deren Kinder er gequält und gefressen hatte, Trauerkleidung an.«
    »Das ist ja allerhand!«, rief der alte Guillaume.
    »Ja, so sind wir hier im Poitou. Groß in der Sünde und groß im Vergeben!«
    Unwirsch rückte die Amme ein paar Töpfe auf dem Tisch zurecht und küsste ungestüm den kleinen Denis.
    »Sicher«, fuhr sie fort, »ich bin nicht lange zur Schule gegangen, aber ich kenne den Unterschied zwischen Ammenmärchen und Geschichten aus vergangenen Zeiten. Gilles de Retz hat wirklich gelebt. Vielleicht irrt seine Seele immer noch in der Nähe von Machecoul herum, aber sein Körper ist hier in dieser Erde verfault. Darum darf man auch nicht so leichfertig über ihn reden wie über die Feen und Kobolde, die um die großen, aufrecht stehenden Steine in den Feldern herumstreifen. Obschon man auch über diese bösen Geister nicht
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