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Die Toten von Bansin

Die Toten von Bansin

Titel: Die Toten von Bansin
Autoren: Elke Pupke
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nickt aber freundlich. Sie braucht nichts zu sagen, die Frau redet sofort weiter. Nach einer halben Stunde wissen die Anwesenden, dass sie aus Köln kommt, von Beruf Friseurin, aber schon Rentnerin und verwitwet ist, einen Sohn namens Hartmut und zwei Enkel hat und zurzeit in Bansin Urlaub macht. Nebenbei hat sie zwei Flaschen Bier getrunken, eine Runde ausgegeben und immer wieder versucht, die Männer auszufragen, aber nur sehr einsilbige Antworten bekommen.
    Arno hat sich inzwischen in eine Ecke zurückgezogen, wo er mit der Kleische, einer Art hölzerner Riesennähnadel, an einem Netz flickt. Der Weißhaarige hat sich mit einem Kopfnicken verabschiedet und auch der junge Mann hat den Platz in der Tür verlassen, um seinen Fisch nach Hause zu bringen.
    Plötz allerdings gefällt die rheinische Frohnatur inzwischen, besonders gefällt ihm, wie sie ihn, seinen Beruf und seine Heimat bewundert. Außerdem mag er dicke Menschen, besonders dicke Frauen. Sie wirken auf ihn beruhigend, warm und gemütlich.
    Auch Berta ist die Frau sympathisch. Und sie ist froh, mal wieder etwas anderes zu hören, als die Gespräche über Fisch und über das Wetter. Erst als sie nach Hause geht, fällt ihr ein, dass sie die Runde noch fragen wollte, ob Gerd Töpfer betrunken war, als er mit seinem Auto auf dem Bahnübergang gestanden hat. Aber wahrscheinlich hätte das sowieso keiner gewusst. Sie schlendert zurück zur Pension.
    Bei den Einheimischen hat das dreistöckige Haus an der Strandpromenade immer den Namen Kehr wieder behalten, auch wenn es zu DDR-Zeiten Fortschritt hieß, was Berta in Bezug auf den damals fortschreitenden Verfall mit Galgenhumor für passend befand. Die vierstöckige alte Villa aus der Gründerzeit des Seebades hat ihren Charme behalten. Um 1900 wurde sie gebaut, als Pension für Sommergäste, mit großen, hellen Räumen und nicht beheizbar. Bertas Großvater, der das Haus kurz danach kaufte, ließ die eine Seite des Erdgeschosses zu einer Wohnung für seine Familie umbauen, an der anderen Seite wurden eine große Küche und eine Gaststätte eingerichtet. Die Zimmer wurden weiterhin im Sommer vermietet.
    Anfang der dreißiger Jahre kam Bertas Mutter mit ihren »Herrschaften« aus Berlin hierher in die Sommerfrische. Sie, die vorher nur die Großstadt kannte, an Hektik, Lärm und das Gekeife ihrer »Gnädigen« gewöhnt war, verliebte sich sofort in die Ostsee, die Ruhe des Waldes und des Strandes bei Sonnenaufgang und später auch ein bisschen in den Junior des Hauses, in dem sie wohnten. Das war ein schmächtiger, kränklicher Mann, nicht mehr ganz jung, der sich nur einmal gegen seine dominante Mutter durchsetzte, als er den »Dienstbolzen« der Berliner Herrschaften bat, im September nicht in die Stadt zurückzukehren, sondern als seine Ehefrau in der Pension zu bleiben. Die Frau musste nicht lange überlegen. Die ganz große Liebe war es nicht, aber auf die wartete sie auch nicht mehr. Abenteuer hatte sie in Berlin genug erlebt, jetzt sehnte sie sich nach Ruhe und Geborgenheit und vor allem nach etwas Eigenem, für das es sich lohnte, zu arbeiten.
    Und arbeiten, das konnte sie. Sie führte die Pension durch alle schwierigen Zeiten, so wie ihr Schwiegervater, der nun schweigend und zufrieden seine Pfeife rauchend auf der Veranda saß, als Kapitän sein Schiff durch schwierige Gewässer geführt hatte. Mit der Schwiegermutter wurde sie zwar nie so richtig warm, aber die hielt ihr immerhin den Rücken frei: Berta und ihre jüngere Schwester waren vor allem von ihrer Oma betreut worden.
    Noch vor Kriegsende waren die Frauen allein, Bertas Opa und ihr Vater starben kurz hintereinander. Während die Mädchen von ihrer Mutter lernten, wie man eine Tafel deckt, Silber putzt und sich den herrschaftlichen Gästen gegenüber benimmt, sprach ihre Großmutter plattdeutsch mit ihnen, lehrte sie die Zubereitung von Fisch und anderen regionalen Gerichten und erzählte von Seeräubern, vom Klabautermann und von ihren Vorfahren: pommerschen Bauern, Fischern und Seeleuten.
    Das Haus hatte den Krieg und auch die Zeit danach fast unbeschadet überstanden, die Belegung durch Kinder, deren Heimatstädte bombardiert wurden, ebenso wie die durch sowjetische Soldaten und später durch Flüchtlinge, die aus dem Osten kamen. 1953 dann wurde das Gebäude unter fadenscheinigen Gründen
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