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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez
Autoren: Sam Hawken
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parken. Der Bass der Musik schien ihm die Luft ins Gesicht zu wehen. Stroboskoplichter leuchteten auf, und von irgendwoher warf eine verspiegelte Kugel tausend winzige Lichtblitze durch das halbdunkle Innere der Fabrikhalle.
    Sevilla sah gerade noch den Rand der Kampfarena, aber mehr nicht, auch nicht die festliche Tafel mit dem Thron für einen Baron. Er ging weiter, um die Seite des Gebäudes herum und dann die rostige Treppe zu der Außentür hinauf. Niemand hatte sich daran zu schaffen gemacht. Sevilla nahm die Kette in beide Hände und legte sie behutsam ab.
    Die Angeln der Tür quietschten wie beim ersten Mal, aber in der Halleherrschte eine derartige Geräuschkulisse, dass es vollkommen unterging. Sevilla hörte seine eigenen Gedanken nicht, und das war in gewisser Hinsicht auch gut so, denn er wollte weder an die neuerliche Angst erinnert werden, die in seinem Hinterkopf nagte, noch an die dröhnende Antwort darauf, die nur dafür gesorgt hätte, dass er schlottern und sich bepissen würde.
    Er zog die Tür hinter sich ins Schloss. Lange Zeit blieb er zwischen den stinkenden Fässern in der Dunkelheit stehen und rechnete fast damit, dass jemand die innere Tür aufreißen würde. Licht würde auf ihn fallen, und er würde vollkommen entblößt in einer Lache stinkenden Benzols kauern, geblendet und gefangen. Dann würde die Schießerei losgehen, und er würde niedergestreckt werden. Aber es kam niemand.
    Die Tür blieb geschlossen. Sevillas Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, und er sah den Bolzenschneider. Obwohl die Füße ihm kaum gehorchen wollten, durchquerte er den Raum. Er legte den Kopf an den Rahmen und zog die Tür so langsam auf, dass Stunden zu vergehen schienen, bis das erste Licht durch den Spalt fiel.
    Weiter, bis er den Kopf durch den Spalt stecken und sich vergewissern konnte, ob draußen jemand wartete. Noch weiter, bis es ihm möglich war, hinauszuschleichen und seitlich, wie eine Krabbe, an der Wand der Halle entlangzuschleichen. Die Männer unten brüllten, aber nicht seinetwegen.
    Von hier hatte er uneingeschränkten Blick auf den Ring. Er sah nackte junge Männer, die einander umkreisten. Nicht vollkommen nackt, mit Lendenschurzen, die ihnen ein wenig das Aussehen von Mayakriegern gaben. Ihre Körper waren nicht bemalt, aber sie trugen farbige Quasten am rechten Arm, dicht über dem Bizeps, blau oder rot. Rot war überhaupt die vorherrschende Farbe.
    Sie kämpften mit bloßen Fäusten, die bereits aufgeplatzt waren und bluteten. Blut, das ungehindert aus der Nase floss, überzog die untere Gesichtshälfte des blauen Kämpfers mit einer scharlachroten Tünche. Er ließ das Blut seines Gegners noch ungehinderter fließen; ihre Gesichter waren geschwollen.
    Es handelte sich nicht um einen Boxkampf: Sie setzten auch die Füße ein, und Sevilla sah, wie einer den anderen mit dem Schienbein am Oberschenkel traf. Das Klatschen von Knochen auf Fleisch hörte er trotz der pulsierenden Musik. Sie umkreisten einander, schlugen sich, traten sich, packten sich, und es ertönte kein Gong, der das Gemetzel unterbrach, denn es handelte sich um einen Kampf bis zum bitteren Ende – mit Menschen anstelle von Tieren.
    Die feinen Herren sahen von der Tafel aus zu. Ein lila Tischtuch lag ausgebreitet auf dem zerkratzten Tisch, der sich unter der Last von Speisen und Getränken regelrecht bog. Ein enormer Berg weißen Pulvers lag bereit.
    Die Huren scharwenzelten zwischen den Männern herum, fassten sie an, flüsterten ihnen in die Ohren oder küssten sie wollüstig, ehe sie in aller Öffentlichkeit Unzucht mit ihnen trieben. Die anderen Mädchen, bei denen es sich nicht um Prostituierte handelte, verfolgten den Kampf mit angewiderten und ängstlichen Gesichtern. Sevilla konzentrierte sich auf eine, die mit dem Mann neben ihr diskutierte. Der Mann hatte sie am Oberarm gepackt und hielt sie auf dem Stuhl fest, und plötzlich schlug er ihr so fest ins Gesicht, dass ein rotes Mal zurückblieb. Ein anderes Mädchen weinte stumm auf ihrem Stuhl und starrte vor sich ins Leere.
    Rafa Madrigal saß auf dem Thron in der Mitte und johlte am lautesten, wenn einer der Kontrahenten im Ring einen besonders brutalen Treffer landete. Er aß mit den Händen wie ein mittelalterlicher König. Sevilla hielt nach Sebastián Ausschau, entdeckte ihn jedoch nirgends. Es war alles genau so, wie Ortíz gesagt hatte: Der jüngere traf die Vorbereitungen, der ältere kam in den Genuss der Ausschweifungen.
    Sevilla erblickte die
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