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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez
Autoren: Sam Hawken
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anhalten.
    Zwei Männer stiegen aus, ein dritter blieb am Lenkrad sitzen. Sevilla wünschte sich ein Fernglas, doch da er keines hatte, kniff er die Augen zusammen, um die Gesichter zu identifizieren. Er erkannte sie nicht, allerdings sah er sie auch nicht sehr deutlich.
    Einer der Männer löste die Kette am Tor. Er schob einen Torflügel auf, der Lexus fuhr hinein. Hinter ihm wurde das Tor wieder geschlossen. Wenige Minuten später ging die kleinere Eingangstür auf; ein Mann mit verschwommenem Gesicht kam heraus, um eine zu rauchen.
    Sevillas Herz setzte einen Schlag aus, als er ein Auto der städtischen Polizei um dieselbe Ecke biegen und im Schneckentempo die Straße entlangfahren sah. Es war der erste Streifenwagen, den er heute zu Gesicht bekam, und sein Puls schlug noch schneller, als der Wagen vor der Fabrikhalle hielt.
    Ein Polizist stieg aus. Der rauchende Mann begrüßte ihn. Sevilla sah, wie sie sich unterhielten, aber natürlich verstand man hier kein Wort. Die Karten schnurrten in Rudolfos Händen, als er wieder mischte.
    Ein anderer Mann kam aus dem Gebäude und sprach mit dem Polizisten. Sevilla beugte sich nach vorn, als könnte er den Wortwechsel auf diese Weise verfolgen, doch es war eine unbewusste und vergebliche Geste. Sein Telefon vibrierte wieder; im ersten Moment wollte er es an die Wand werfen.
    Der zweite Mann holte etwas Weißes aus der Jackentasche, einen Umschlag, den er dem Polizisten reichte. Der Polizist steckte den Umschlag ein. Er salutierte vor beiden Männern und stieg wieder in den Streifenwagen. Die Männer traten beiseite und ließen die Polizisten wegfahren.
    Sevilla atmete keuchend aus. Er hatte nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte.
    So funktionierte es also. Das Viertel war abgelegen, die Halle unauffällig. Und damit die Straßen sicher blieben, schmierten sie die hiesigen Polizisten, damit die wegsahen, während sie ihren Angelegenheiten nachgingen. Natürlich war es so einfach; komplizierter musste es gar nicht sein.

SIEBZEHN
    Als die Sonne im Westen unterging, schien sie Sevilla direkt ins Gesicht, und er blickte hinter der Sonnenbrille in das gleißende Licht. Rudolfo stand von der Couch auf, zog sich in die kleine Küche des Apartments zurück und begann mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Sie redeten zwar kaum miteinander, doch Sevilla gewann den Eindruck, dass sich der alte Mann über die Gesellschaft freute, weil er sonst keine hatte. Sevilla war überzeugt, dass das Essen nicht nur für einen reichen würde und er abermals mitessen müsste, obwohl er immer noch keinen Appetit hatte.
    Um halb sieben fuhr ein Kleintransporter vor dem Gebäude vor. Er hielt am großen Tor und hupte. Das Tor wurde ganz geöffnet. Sevilla konnte eine Telefonnummer auf dem Transporter lesen, aber nicht den Text. Er rief die Nummer an. Es nahm niemand ab, doch ein Anrufbeantworter verriet ihm, dass es sich um einen Service handelte, der Soundanlagen für Partys und Tanzveranstaltungen vermietete.
    Eine ganze Weile vor Sonnenuntergang sah Sevilla den Transporter wieder abfahren. Und wie erwartet brachte ihm Rudolfo eine komplette Mahlzeit an den kleinen Klapptisch.
    »Wie alt sind Sie,
Señor
?«, fragte Rudolfo Sevilla beim Essen.
    Sevilla sagte es ihm.
    »Ich habe einen Sohn in Ihrem Alter. Er lebt hier in der Stadt, kommt mich aber nie besuchen. Seine Mutter und ich haben ihn von klein an in dieser Wohnung aufgezogen. Er kommt mich nie besuchen.«
    Darauf wusste Sevilla nichts zu sagen. Er nickte nur.
    »Haben Sie Kinder?«
    »Ich habe eine Tochter«, antwortete Sevilla. »Sie lebt bei mir und ihrer Mutter und studiert. Ich bin sehr stolz auf sie.«
    »Sie sind ein glücklicher Mann.«
    »Sehr glücklich. Eine Enkelin habe ich auch. Wenn ich sie in den Armen halte, fühle ich mich zwanzig Jahre jünger. Es ist, als hätte ich meine kleine Tochter wieder.«
    »Enkelkinder sind ein Segen«, stimmte Rudolfo zu.
    Sevilla aß den Teller leer. Er trug ihn selbst in die Küche. Dort herrschte Enge, die Spüle war winzig. Als er wiederkam, sah Rudolfo ihn an.
    »Möchten Sie Ihre Tochter und Enkeltochter wiedersehen?«, fragte Rudolfo.
    »Ja.«
    »Dann sollten Sie hier fortgehen.«
    Sevilla ging zum Fenster. Er sah zwei Autos mit eingeschalteten Scheinwerfern in der Abenddämmerung. Sie hielten vor der Halle an, die Leute stiegen aus. Unter ihnen erblickte er eine Frau, die ein helles Kleid trug. Sie sah wie eine Hure aus. Alle Männer trugen Jacketts und Hemden, als
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