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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus
Autoren: Sujata Massey
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arbeiten zusammen in Tokio. Ich bin während der Feiertage allein, deshalb waren Mr. Nakamura und seine Frau so freundlich, mich auf ihre Reise mitzunehmen. Ich bin separat hergefahren, weil ich dachte, ich würde dadurch Zeit sparen. Aber es hat sich herausgestellt, daß ich währenddessen die Genji Monogatari hätte lesen können, so lange hat es gedauert!«
    Er bezog sich auf den längsten und berühmtesten Roman Japans, ein dicker Wälzer aus dem elften Jahrhundert, der im einundzwanzigsten wahrscheinlich immer noch auf meinem Nachttisch liegen würde. Ich bezweifelte sehr, daß er es fertiggelesen hatte.
    »Ist das Ihr Lexus auf dem Parkplatz?« Mrs. Chapmans durchdringender Blick ruhte auf Hugh Glendinning.
    Er lachte. »Das Exportmodell heißt Lexus – hier ist das ein Windom. Lächerlich, nicht?«
    »Das ist das sogenannte ›Jinglish‹«, erklärte ich, und alle sahen mich an. »Die neue Sprache, die von den Japanern erfunden wurde, um kulturelle Verbindungen zu schaffen. Viele Wörter wurden aus dem Englischen übernommen. Ein Kaufhaus, englisch department store, schreibt man hier depaato, und einen Büroangestellten wie Sie nennt man hier sarariman. Oder salaryman, wie im Englischen.«
    »Und was soll dann Windom heißen? Das ergibt doch keinen Sinn«, nörgelte Hugh.
    »Mmm.« Seine Arroganz ärgerte mich. »Vielleicht ein Wortspiel aus window, Fenster, und kingdom, Königreich? Alles, was in Sicht ist, ist einem untertan, weil man ein Luxusauto fährt?«
    »Wenigstens hatte Hugh einen Sitzplatz«, unterbrach Mrs. Chapman. »Die japanischen Züge sind unmöglich. Niemand bietet alten Damen einen Platz an, und junge Mädchen wie Rei werden belästigt. Und mir hat man noch gesagt, in Asien seien alle so höflich!«
    Jetzt, wo ihr alle zuhörten, war Mrs. Chapman nicht mehr zu halten und gab die ganze Geschichte noch einmal zum besten. Glücklicherweise lenkte der junge salaryman namens Yamamoto das Gespräch wieder auf ein weniger brisantes Thema und fragte Mrs. Chapman nach ihrem Leben in den Vereinigten Staaten. Ich aß den Fisch und das Gemüse und nahm mir noch einmal vom Reis, während sie das Leben einer Rentnerin in Destin, Florida beschrieb, der Heimat des schönsten weißen Sandstrands auf der ganzen Welt. Aber die Sonne schien dort ständig, so daß es ein wenig langweilig wurde und man mitunter Lust bekam, auf Reisen zu gehen.
    »Gibt es einen Mr. Chapman?« fragte Hugh, der sich nun auch ins Gespräch einschaltete. Sie schüttelte den Kopf und antwortete, sie sei Witwe. Während er murmelnd sein Bedauern ausdrückte, merkte ich, daß Mrs. Nakamura ihr einen bösen Blick zuwarf. Zweifellos war das Mrs. Chapmans unbedachten Kommentaren zum Kennenlernen von Asiaten über Reiseagenturen zuzuschreiben.
    Ich fürchtete einen sich anbahnenden Ost-West-Krieg am Tisch und begann mit einem jungen Paar, das verspätet zu Tisch gekommen war, ein Gespräch über das Essen. Ich merkte, daß Hugh Glendinning zuhörte, obwohl ich Japanisch sprach. Als ich versuchte, mein Pferdefleisch diskret unter der Salatgarnitur zu verstecken, schob er sich seine Portion gerade genüßlich in den Mund. Ich überlegte, ob er wohl immer noch so zufrieden kauen würde, wenn er wüßte, daß das, was er gerade aß, einmal fröhlich über die Wiesen gesprungen war. Andererseits hatte ich gehört, daß das schottische Nationalgericht eine Art mit Gedärmen gefüllter Schafsmagen sei.
    »Sie machen das beruflich, nicht wahr? Mit Leuten sprechen. Sie unterrichten wahrscheinlich«, dröhnte er, als ich schließlich schwieg.
    »Stimmt. Als Ausländerin bekommt man hier keine bessere Arbeit.« Lieber hätte ich in einem kleinen Museum japanische Antiquitäten katalogisiert, aber nach einer sechswöchigen Suche war ich realistisch geworden. Ich hatte zwei Angebote gehabt: als Barhostess oder als Englischlehrerin. Ich nahm den gesünderen Job mit der Krankenversicherung.
    »Ich hatte mir auch schon überlegt, Sprachunterricht zu nehmen. Arbeiten Sie bei Berlitz?«
    »Nein. Ich bin freie Mitarbeiterin bei einem Hersteller von Küchengeräten.« Langsam wurde es mir peinlich, die Ärmste und Unwichtigste in der Gruppe zu sein.
    »Küchengeräte. Welche denn, Tiger, Nichiyu, Zojirushi?« fragte er weiter.
    »Nichiyu.« Ich war erstaunt, daß er die Firma kannte.
    »Dann kommen Sie also auch aus Tokio. Ich bin Anwalt für internationales Recht. Mr. Nakamura war so freundlich, mich in seine Abteilung bei Sendai hineinschnuppern zu
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