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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus
Autoren: Sujata Massey
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Volkskunst zu suchen und mir eine Pause von der erbarmungslosen Öde meines Lebens im Norden von Tokio zu gönnen. Ich hatte alles sorgfältig geplant und war der Empfehlung meines Chefs gefolgt, in einem minshuku zu wohnen, einer Familienpension. Ich hatte mir eine ausgesucht, die für ihre ländliche Küche und Einrichtung bekannt war. Einfach in die schneebedeckten Berge zu fahren, während ganz Japan den Beginn des neuen Jahres feierte – das wichtigste Fest des Jahres –, war ziemlich exzentrisch. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, daß noch jemand dieselbe Idee gehabt hatte.
    Die Frau wußte so gut wie nichts über das ländliche Japan, und so erklärte ich ihr ein wenig, was sie in einer japanischen Herberge erwartete. Als wir auf die Mineralienbäder zu sprechen kamen, wurde mir klar, daß sie in derselben Pension gebucht hatte und daß wir gemeinsam ein Taxi nehmen konnten. Mein Solotrip hatte sich erledigt. Bedauernd dachte ich an den japanischen Glauben, nach dem es keine Zufälle gibt, weil alles Teil eines großen kosmischen Plans ist. In Anbetracht der folgenden Ereignisse bin ich geneigt, dem zuzustimmen.
     
    Der erste Blick auf Shiroyama zeigte ein Durcheinander aus altmodischen Läden und Häusern, schneebedeckten Ziegeldächern und Fenstern, in denen einladend goldenes Licht schimmerte. Eine alte Frau im Kimono eilte vorbei; sie hielt ihren Schirm hoch, um sich vor den sanft fallenden Schneeflocken zu schützen. Ich hätte mir Zeit gelassen, hätte ich nicht den Pagen für meine neue Begleiterin gespielt und rasch einem Taxi gewinkt, bevor es am Taxistand angelangt war.
    »Denken Sie sich nichts bei dem Vuitton. Es ist eine Fälschung aus Hongkong«, prahlte sie, als ich ihre beiden schweren Koffer in den Kofferraum wuchtete. »Ich habe Ihren Namen nicht verstanden, junge Dame.«
    »Rei Shimura«, sagte ich langsam und deutlich, wie ich es aus meiner Kindheit und Jugend in den Vereinigten Staaten gewohnt war.
    »Rae mit e oder Ray mit y?«
    »Weder noch. Es ist ein japanischer Name, der wie die amerikanischen klingt.«
    »Hey, Rei! Das reimt sich. Ich bin Mrs. Chapman. Marcelle«, fügte sie noch hinzu. Trotzdem war es gar keine Frage, daß ich sie Mrs. nennen sollte, ebenso wie es klar war, daß ich ihr die Koffer tragen sollte. Sie schwatzte die ganze Strecke bis zum Minshuku Yogetsu, das, wie sich herausstellte, weit weniger poetisch aussah, als sein Name »Nachtmond« versprach. Ruß und Abgase hatten die verputzte Fassade angegriffen, und durch die dunkelbraunen, geschlossenen Fensterläden wirkte das Haus, als hätte es die Augen vor der Welt geschlossen. Ein Teil des Gartens war in einen Parkplatz umgewandelt worden, auf dem zwei Toyotas standen: der eine war ein rostiger Town-Ace-Transporter, der andere ein eleganter schwarzer Windom. Bei dem hohen Preis, den ich für mein Zimmer gezahlt hatte, konnte ich mir ausrechnen, welcher von beiden den Pensionsbesitzern gehörte.
    Mrs. Chapman marschierte an mir vorbei und stieß die Haustür auf. »Juu-huu! Ist da jemand?«
    Eine schlanke Frau zwischen vierzig und fünfzig mit strengem Haarschnitt und ebensolchem Gesichtausdruck kam aus einem Nebenzimmer, kniete sich vor uns hin und verneigte sich tief.
    »Willkommen. Es war sehr unhöflich von mir, daß ich nicht hier war, um Ihnen die Türe zu öffnen.« Ich erkannte die Stimme von Mrs. Yogetsu, der Wirtin, wieder, bei der ich das Zimmer reserviert hatte. Hinter den höflichen Worten spürte ich den Vorwurf, daß wir einfach hereingeplatzt waren. Als ich mich entschuldigte und ihr von der Verspätung des Zuges erzählte, wurde ihr Gesicht noch verkniffener; sie hatte meinen leichten amerikanischen Akzent herausgehört.
    »Sie reisen zusammen? Dann möchten Sie sicherlich nebeneinanderliegende Zimmer?« Es klang nach einem höflichen Angebot, aber nach vielen einschlägigen Erfahrungen wußte ich, was dahintersteckte: Die Ausländer sollen unter sich bleiben, abseits von uns Japanern.
    »Das ist nicht nötig, überhaupt nicht nötig.« Ich überschlug mich förmlich. »Ich habe diese Dame erst im Zug kennengelernt.«
    Auf ihre Anweisung hin tauschten wir unsere Schuhe gegen Hauspantoffeln, und Mrs. Chapman füllte sorgfältig das Anmeldeformular aus, während ich mich umblickte. Alles war makellos und der Zen-Philosophie entsprechend einfach, an den Wänden hingen nur wenige, ausgesuchte Schriftrollen. Der Boden war mit tatami -Strohmatten ausgelegt, die bis zu einer offenen Feuerstelle
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