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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus
Autoren: Sujata Massey
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Antiquitätenfachzeitschriften. Sosehr ich die Tokioter Partygesellschaft verachtete, sosehr war ich doch fasziniert von ihr. Ich identifizierte die Frau zwar nicht, aber irgendwie kam sie mir bekannt vor. Ich erinnerte mich an die glockenklare Stimme, die ich vor meinem Bad gehört hatte.
    Die elegante Frau begutachtete mich, betrachtete meinen uralten Kaschmirpullover mit dem V-Ausschnitt und die Samtleggings, die ich zum Essen angezogen hatte. Sie ließ den Blick auf meinen Füßen ruhen. Ja, sie sind größer als deine, das kommt von der guten Ernährung und meiner amerikanischen Hälfte, dachte ich verärgert, bevor mir das kleine Loch in der linken Socke einfiel.
    Beim Essen placierte Mrs. Yogetsu, die Wirtin, das elitäre Pärchen an den Kopf des gemeinsamen Tisches. Mrs. Chapman und ich wurden in die Mitte gesetzt, umgeben von vielen leeren Stühlen.
    Mein Essenstablett sah äußerst vielversprechend aus. Buchweizennudeln in einer Brühe, die köstlich nach Knoblauch und Ingwer roch. Kleine Porzellantellerchen mit einer schmucken Zusammenstellung von Sashimi, süßen schwarzen Bohnen, mit Sesam gewürztem Spinat, Lotuswurzeln und anderem künstlerisch arrangierten Gemüse. Das einzige, was mich nervös machte, waren winzige getrocknete Sardinen, die man ganz aß, und papierdünne Scheibchen rohen Fleisches, wahrscheinlich Pferdefleisch, eine regionale Spezialität.
    Mrs. Chapmans Flüstern lenkte mich von meinen Bedenken ab. »Ich kann nicht mit Stäbchen essen. Glauben Sie, ich könnte eine Gabel bekommen?«
    »Keine Sorge. Das funktioniert wie ein Gelenk.« Obwohl das Tischgebet noch nicht gesprochen war, zog ich meine Stäbchen aus der Papierhülle und zeigte ihr die feinen, zangenartigen Bewegungen. Während sie meine Anweisungen befolgte, setzten sich zwei neue Gäste auf die Polster mir gegenüber. Mit einem leichten Nicken begrüßte ich einen jungen salaryman. Er trug einen verknitterten blauen Anzug, der aussah wie ein billiger Verwandter des Anzugs des älteren Mannes. Nach einem panischen Blick verneigte auch er sich. Und dann wünschte ich mir, so klein zu sein, daß ich mich in meiner lackierten Suppenschale verstecken konnte, denn direkt neben ihn setzte sich der Riese, der mir nackt im Badezimmer begegnet war.

2
    Auch angezogen sah er gut aus. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich weite Kordhosen und einen handgestrickten Arran-Pulli. Seine Haare waren naß, er mußte es also schließlich doch noch ins Bad geschafft haben.
    »Bestimmt schlafen mir noch vor dem Dessert die Füße ein, glauben Sie nicht?« fragte die Ausländerin leutselig das elegante Paar.
    »Dagegen hilft Alkohol«, antwortete der ältere salaryman. »Wenn Sie viel trinken, können Sie stundenlang auf dem Boden sitzen.«
    »Der reizende Akzent, den ich da höre, ist das Irisch?« Mrs. Chapman strahlte den blonden Mann an.
    »Schottisch. Für die Yanks hören wir uns alle gleich an«, stöhnte der Mann.
    »Mr. Glendinning stammt aus Glasgow, der Heimat alles Guten in dem Land!« sagte der junge, zerknittert aussehende salaryman, neben dem er saß.
    »Sagen Sie das noch mal, und ich nehme Sie mit nach Hause, Yamamoto-san. Golfspielen am Nachmittag …«
    »Und abends einen draufmachen!« krähte Mr. Yamamoto, der sich darauf etwas zurückhaltender dem Big Boss zuwandte und ins Japanische wechselte. »Ich hoffe, Mr. Nakamuras Zimmer ist nicht allzu unbequem. Und Mrs. Nakamura ist nach der langen Zugfahrt sicher müde. Es standen zu viele Leute um Ihren Sitzplatz, neh?«
    »Wir freuen uns, hierzusein. Sie haben annehmbare Vorbereitungen getroffen«, antwortete Mrs. Nakamura in nahezu perfektem Englisch und wandte ihr schönes Gesicht dem Ausländer zu. »Hughsan, wir Japaner glauben, daß die einfachsten Dinge manchmal die angenehmsten sind. Ich wollte unbedingt, daß Sie diese nostalgische Lebensart auch einmal kennenlernen.«
    Während ich die pikanten Nudeln und die Brühe schlürfte, dachte ich über Hugh Glendinning nach. Sein Name könnte aus Wiedersehen in Brideshead stammen, sein Akzent aber nicht. Ich dachte an den Glasgower Arbeiterklassenakzent, den ich in dem Film Trainspotting gehört hatte, aber auch der paßte nicht. Hugh Glendinnings rollendes R und seine runden Vokale bildeten eine eigene, nicht verzeichnete Kategorie.
    »Gehören Sie zu diesen Leuten? Haben Sie sich über eine Reiseagentur kennengelernt?« Mrs. Chapmans schleppender Dialekt riß mich aus meinen linguistischen Träumereien.
    »Wir
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