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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus
Autoren: Sujata Massey
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tiefer ins Wasser rutschte.
    »Falsches Bad, bitte gehen Sie!« Erst danach wurde mir klar, daß ich ihn auf japanisch angebrüllt hatte.
    »Sumimasen, entschuldigen Sie!« rief er zurück, in dem merkwürdigen, strukturierten Akzent, den ich eben erst von meinem Zimmer aus gehört hatte. »An der Tür, da, äh, da steht nichts …«
    »Da steht nur für Damen!« rief ich auf englisch.
    »Ich dachte, das wären Gemeinschaftsbäder …«
    »Das bedeutet noch lange nicht, daß es ein gemischtes Bad ist! Glauben Sie, Sie sind hier in einem Massagesalon?«
    Er wurde rot, und alles deutete darauf hin, daß er die schmierigen Sexbäder kannte, in denen Prostituierte ihren Körper wie Schwämme benutzten.
    »Es tut mir leid, ich wollte nicht …« Der Rest seiner Entschuldigung wurde abgeschnitten, als die Tür zuknallte.
    Mein Herz raste immer noch wie ein Preßlufthammer, während ich hörte, wie sich im anderen Raum jemand umzog, stolperte und der Reißverschluß einer Hose zugezogen wurde. Sobald ich mir sicher war, daß er gegangen war, stieg ich aus dem Wasser und schlüpfte in meine yukata. Als ich hinausging, kam gerade Mrs. Chapman den Gang entlang, verschnürt wie ein riesiges Paket in einem gelben Chenillebademantel.
    »Passen Sie auf, wenn Sie baden. Die Tür läßt sich nicht abschließen.« Meine Stimme zitterte.
    »Mir hat man aber gesagt, es sei nur für Damen.« Mrs. Chapman runzelte die Stirn. »Dieses Schild an der Tür, was bedeutet das?«
    »Sehen Sie sich dieses kanji an: Es sieht aus wie eine kniende Frau, nicht wahr? Das japanische Wort für Frau wird dargestellt durch jemanden, der dient.«
    »Was ist ein kanji?«
    »Ein Piktogramm.« Angesichts ihres verständnislosen Blickes erklärte ich es genauer. »Die Japaner haben ihr Schriftsystem von China übernommen. Bildsymbole stehen für Wörter. Das hier ist das Symbol für Mann.« Ich nahm das Holzschild, das der Eindringling hätte kennen müssen. »Was stellt das für Sie dar?«
    »Einen Quadratschädel auf Beinen.«
    Ich unterdrückte ein Lachen. »Das Viereck soll ein Reisfeld darstellen, und die Beine darunter stehen für Kraft. Eigentlich bedeutet es also Kraft auf dem Reisfeld, und genau das war wichtig für die Männer früher in der alten bäuerlichen Kultur.« Danach zeigte ich ihr noch das Familienschild und erklärte ihr, daß gemeinsames Baden innerhalb der Familie als gesund angesehen wurde.
    »Die Leute hier sind schon pervers«, meinte Mrs. Chapman ein wenig erregt. »Ist Ihnen aufgefallen, daß man auf Bahnhöfen direkt in die Männertoilette sehen kann?«
    »Man soll wegschauen und so tun, als wären die Pissoirs gar nicht da«, schimpfte ich, kam mir dabei aber ein wenig scheinheilig vor. Der Mann hatte während seines verzweifelten Versuchs, das Bad zu verlassen, einen recht guten Anblick geboten. Einen Anblick, bei dem ich die Augen hätte abwenden müssen, was ich aber nicht getan hatte.
     
    Eine Stunde später saßen Mrs. Chapman und ich im Wohnzimmer und warteten auf das Abendessen. Sie zeigte mir ein Album mit Postkarten von Asien. Während sie von ihren Lieblingshauptstädten quasselte, wandte ich meine Aufmerksamkeit der Feuerstelle zu, wo sich ein japanisches Paar mittleren Alters die Hände wärmte.
    Der Mann war ein typischer Tokioter in einem teuer geschnittenen blauen Anzug und mit einem offenbar permanenten spöttischen Lächeln. Ich identifizierte ihn sofort als typischen salaryman, einen der unentbehrlichen höheren Angestellten, die dem städtischen Japan ein Flair von Zigaretten, Scotch und Erschöpfung verliehen. Die Frau, die neben ihm kniete, war vielleicht zehn Jahre jünger. Ihren langen, schwarzen, glänzenden Haarvorhang hatte sie mit einem Seidenschal hinten zusammengebunden. Ihre Augen waren runder als meine; vielleicht hatte sie sich einer superteuren »Fresh-Eyes« -Operation unterzogen.
    Mich erstaunte, daß ihr elfenbeinfarbenes Kleid von Chanel war – keine Fälschung. Ihr Schmuck stammte von Japans Topadresse; eine zweireihige Halskette aus schimmernden Perlen mit einem goldenen Schmetterling als Verschluß, dem Markenzeichen von Mikimoto. Das Outfit war zu teuer für die typische Frau eines salaryman, vielleicht hatte sie alles in Discountläden im Ausland gekauft. Vielleicht waren sie auch einfach reich, gehörten zu den Leuten, die die Klatschspalte des Tokyo Weekender füllten, die zweiwöchige Boulevardzeitung für Ausländer, die ich so aufmerksam las wie meine
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