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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus
Autoren: Sujata Massey
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aber sie klagte über die fehlende Rückenlehne. Ich versuchte ihr etwas zurechtzubauen, aber sie murrte, daß sie sich lieber in ihrem Zimmer ausruhen würde.
    Das junge Pärchen, mit dem ich bei Tisch ein Gespräch begonnen hatte, ließ sich neben mir nieder.
    »Ich reise jedes Jahr in Ihr Land, für Honda Motor Company«, sagte der Mann, der mit seiner schmalen, rechteckigen Brille aussah wie eine freundliche Eule. »Ich bin Taro Ikeda. Meine Frau Yuki ist zu schüchtern, um Englisch zu sprechen.«
    »Ich würde gerne versuchen zu sprechen, wenn Sie mir helfen würden?« Ihr zaghaftes Englisch machte sie sofort sympathisch. Ich stellte mich in meiner Muttersprache vor, und beide nickten anerkennend, als sie meinen japanischen Namen hörten.
    »Mit welchem kanji schreiben Sie Ihren Namen?« fragte Taro.
    Mein Nachname war recht normal, aber mein Vorname hatte über ein Dutzend verschiedene Bedeutungen, je nachdem, wie er geschrieben wurde. Er konnte Schönheit heißen, Verbeugung, Kälte oder die Zahl Null; das kanji, das mein Vater gewählt hatte, war ein weniger bekanntes, das soviel bedeutete wie kristallene Klarheit. Ich mußte das kanji erst aufmalen, damit sie es verstanden.
    »Mein Name bedeutet Schnee. Ich liebe es sehr, wenn es schneit«, zwitscherte Yuki in ihrem Schulmädchenenglisch.
    »Sind Sie zum ersten Mal hier?« fragte ich.
    »Nein, zum zweiten Mal. Wir skien sehr gerne«, sagte Yuki.
    »Wir fahren gerne Ski, Yuki, es heißt Skifahren. Und ich muß auch mein Hobby erwähnen: historische Verbrechen«, warf Taro ein.
    »Sie interessieren sich für Verbrechen?« fragte ich ungläubig. Das war ein merkwürdiges Hobby, insbesondere für einen so konventionell aussehenden jungen Mann; an der Art, wie Yuki die Augen verdrehte, sah man, daß auch sie dieser Meinung war. Doch die Japaner hatten die gruseligsten Geistergeschichten der Welt geschrieben, und so verstand ich, wo seine Leidenschaft womöglich herrührte.
    »Das hier ist die Hauptstadt der Geister! Kennen Sie ihre großartige Geschichte?« fragte Taro.
    Ich kannte die allgemeine Geschichte von Shiroyama. Die Stadt war früher der Sitz eines Feudalherrn gewesen, Geki Uchida. Der hatte ein Kastell gebaut, das in ganz Japan bewundert wurde. Taro erzählte mir, daß Uchida auch verantwortlich für Shiroyamas Aufstieg als Zentrum des Kunsthandwerks war.
    »Uchida hat den Leuten viel Arbeit gegeben, sie haben Holz für Möbel geschnitzt und shunkei hergestellt. Es tut mir leid, daß ich Ihre Sprache nicht so gut spreche, aber ich kann das nicht genau übersetzen«, sagte Taro.
    Setsuko Nakamura, die sich mit Hugh direkt an die Feuerstelle gesetzt hatte, seufzte ungeduldig. » Shunkei, das ist der berühmte Lack aus Shiroyama, der für Schalen und Geschirr verwendet wird. Der Lack ist extrem dünn, so daß die Maserung des Holzes darunter noch sichtbar ist. Deshalb wird er so bewundert.«
    »Kann man hier in der Gegend antike shunkei finden?« Ich war sofort Feuer und Flamme.
    »Ja, aber das wäre sicherlich zu teuer für Sie.« Setsukos kalte, perfekt geschminkte Augen ruhten kurz auf mir, dann wandte sie sich wieder Hugh zu.
    »Nicht der Lack ist das Interessante, sondern die Geistergeschichte«, murrte Taro. »Uchidas ältester Sohn regierte nach dessen Tod, aber leider war er ein schlechter Herrscher. Deshalb beschloß ein Verwandter, die Macht an sich zu reißen. Der älteste Sohn wurde ermordet. Seine Familie floh, bis auf eine Tochter. Miyo blieb und versuchte mit dem Verwandten zu kämpfen.«
    »War das ein physischer Kampf?« fragte ich, und eine dramatische Szene formte sich in meinem Kopf.
    »Wie viele Samuraidamen trug sie ein kleines Messer in ihrem Kimono, für alle Fälle. Sie hat es gegen ihren Verwandten benutzt.« Taro hielt inne und ließ den Blick über die anderen schweifen, um sicherzugehen, daß wir auch alle zuhörten. »Es war keine tödliche Wunde. Sein Diener nahm ihr das Messer ab und wollte sie töten, doch der Verwandte hatte ein gütiges Herz und ließ sie leben. Prinzessin Miyo konnte es nicht ertragen, versagt zu haben. Sie wollte nicht wieder zu ihrer Familie zurückkehren. Sie würden womöglich denken, der neue Herr hätte sie verschont, weil …« Er spitzte die Lippen. Wahrscheinlich dachte er an Vergewaltigung.
    »Die Soldaten ließen sie vor dem Kastell frei. Sie rannte in den Wald und ward nie wieder gesehen. Mit der Zeit aber erzählten sich die Leute, daß sie ein schönes Mädchen in einem vornehmen, alten
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