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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus
Autoren: Sujata Massey
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Kimono im Wald gesehen hätten. Sie stünde plötzlich vor einem, und genauso plötzlich sei sie wieder verschwunden. Und wenn es sehr windig ist, behaupten die Leute gerne, daß Miyo weint.« Taro Ikeda verbeugte sich zum Applaus, seine Geschichte war zu Ende.
    »Das meiste ist also Aberglaube«, sagte ich. Ich glaubte nicht einmal die Hälfte, aber es wäre unhöflich gewesen, das zuzugeben.
    »Nicht für mich! Ich schreibe eine Arbeit darüber. Ich habe schon in den Museen hier nachgeforscht. Im Wald habe ich mit einem Metalldetektor nach Waffen und anderen Dingen gesucht.«
    »Er findet nur Bierdosen«, meinte Yuki spöttisch.
    »Ja, ich hatte keinen Erfolg.« Taro klang nicht verärgert. »Ihre Schätze wurden wahrscheinlich vor vielen Jahren genommen.«
    »Meiner Meinung nach war der siegreiche Verwandte ziemlich großzügig zu seinen Feinden. Wie hat er sich denn als Herrscher gemacht? Hat er es geschafft, die Stadt wirtschaftlich aufzubauen?« Hugh sprach in seiner halbliegenden Stellung vor dem Feuer. Ich hatte es langsam satt, Setsuko dabei zuzusehen, wie sie in einem komplizierten Ritual ein Fläschchen Sake über der Flamme wärmte, bevor sie ihm ein wenig in eine kleine Lackuntertasse goß. Das Ritual einer Frau, die ihren Mann umsorgt. Wohin war eigentlich Mr. Nakamura verschwunden?
    Taro zuckte die Achseln. »Man ist einhellig der Meinung, daß der neue Herrscher die Stadt gerettet hat. Er hat die Leute gezwungen, sich auf Holz zu spezialisieren, eine für die Zukunft weit wichtigere Arbeit als der shunkei- Lack .«
    »Ist das wahr?« fragte ich Mrs. Yogetsu auf japanisch, als sie hereinkam, um den Sake für Setsuko und Hugh nachzufüllen.
    Die Wirtin hob die Schultern. »Das Geschäft geht gut. Die entlaufene Prinzessin ist nur eine Geschichte für Touristen. Wenn es eine Tochter gegeben hat, dann hat sie das Kastell mit ihrer Familie verlassen. Wie es jede Tochter getan hätte«, fügte sie mit Bestimmtheit hinzu.
     
    Ich dachte über die Geschichte nach, während ich einen Führer über die japanischen Alpen durchblätterte. Fast alle anderen hatten sich aus dem Wohnzimmer zurückgezogen. Mit dieser Sage verlieh die Stadt der brutalen Machtergreifung einen Hauch Romantik. Das geisterhafte Schicksal der Prinzessin war reine Propaganda, ein wenig süße Bohnenpaste zum Abschluß wie ein Dessert.
    Ein gutaussehender Mann zwischen fünfzig und sechzig mit einem dicken, etwas verwegenen silbernschwarzen Haarschopf kam aus der Küche. Yuki versicherte ihm, daß das Essen köstlich gewesen sei, und ich pflichtete ihr bei. Der Mann sah erschöpft aus, doch ihm gelang noch ein höfliches Nicken zum Dank, bevor er ging.
    »Dieser Mann ist ein unheimlich talentierter Koch. Wenn mein Mann doch nur kochen könnte!« beschwerte sich Yuki. Japanische Ehemänner waren berüchtigt dafür, daß sie nicht einmal Wasser kochen konnten.
    »Er hat wirklich Talent. Ich habe so viel gegessen, daß ich Tage brauchen werde, um es mir wieder abzutrainieren«, übertrieb ich.
    »Oh! Dann müssen Sie heute um Mitternacht unbedingt mit uns kommen.« Yuki und Taro wollten zum ältesten Tempel Shiroyamas gehen, wo das neue Jahr entsprechend dem buddhistischen Kalender mit 108 Glockenschlägen eingeläutet wurde. Ich hatte eigentlich vorgehabt, allein hinzugehen, aber der Gedanke, sich mit neuen Freunden in einer fremden, dunklen Stadt zurechtzufinden, war reizvoller. Auf Yukis Drängen hin ging ich die Treppe hinauf, um Mrs. Chapman zu fragen, ob sie mitkommen wolle.
    Ich klopfte mehrmals an die Tür und rief ihren Namen. Außer dem Fernseher, in dem ein englischsprachiger Naturfilm lief, war nichts zu hören. Gerade, als ich die Treppe wieder hinuntergehen wollte, öffnete Hugh Glendinning die Tür.
    »Einen Moment bitte. Ich wollte mich nur entschuldigen, aber unten war keine Gelegenheit dazu.«
    »Ich bin froh, daß Sie es nicht gemacht haben.« Hier oben war es schon schlimm genug, denn die Türen, die uns von den anderen trennten, waren papierdünn.
    »Jetzt, wo ich gehört habe, daß Sie Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden sind, fühle ich mich richtig mies. Posttraumatisches Streßsyndrom und so.« Hugh betrachtete mich, als wäre ich ein Exemplar irgendeiner merkwürdigen Gattung: die geschändete Frau.
    »Keine Sorge. Daß Sie da hineingeplatzt sind, war ziemlich übel, aber ich bezweifle doch, daß es bleibende Schäden in meiner Psyche hinterläßt.« Ich wandte mich zum Gehen.
    »Ich war ein Idiot. Es ist
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