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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus
Autoren: Sujata Massey
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Schlafzimmer am Neujahrsmorgen mit blassem, diffusem Licht. Ich blickte auf die Uhr. Es war sieben Uhr dreißig. Es war sinnvoll, sich schnell aus den Decken zu schälen, wenn ich das Bad für mich allein haben wollte.
    Da ich aus Sicherheitsgründen über Nacht die Gasheizung abgestellt hatte, war es nicht sonderlich einladend, aus dem Bett zu steigen. Ich drehte die Heizung bis zum Anschlag auf, suchte meine Kleider zusammen und eilte nach unten.
    An der Badezimmertür hing bereits das Schild für Damen, aber die Tür klemmte, als ich versuchte, sie zu öffnen. Ich untersuchte den Türpfosten, und als die Tür endlich aufging, sah ich, daß im Umkleideraum ein Korb mit Kleidern stand. Der rosa Rollkragenpullover, die Skihose und die Spitzenunterwäsche konnten nur zwei Frauen gehören. Ich zog mich aus, schlang aber trotzdem ein Handtuch um mich, bevor ich einen Blick in den Baderaum warf.
    »Die Dusche links funktioniert am besten. Kommen Sie schnell, Ihnen ist bestimmt eiskalt!« Yuki Ikeda lag mit gerötetem Gesicht bis zu den Schultern in dem heißen Wasser.
    »Wo ist denn Ihr Mann?« Ich konnte gar nicht glauben, daß sie nicht zusammen im Bad saßen.
    »Der schläft wie ein großer Haufen Müll!« Sie verdrehte die Augen, so daß ich lachen mußte.
    Die warme Dusche war wunderbar, aber in das dampfende Wasser zu steigen war schlichtweg himmlisch. Ich nahm die Seite gegenüber meiner neuen Freundin, die höflich zur Decke blickte, als ich mein Handtuch weglegte.
    »Weshalb sind Sie so früh schon wach?« fragte ich auf japanisch, da kein herrischer Ehemann in der Gegend war, der auf Englischübungen bestand.
    »Es ist verrückt! Taro und ich wollten gestern abend ein romantisches Bad nehmen, aber die ganze Nacht hing das Damen-Schild an der Tür. Ich wollte im Umkleideraum nachsehen, aber die Tür war verschlossen.«
    »Sie war mit einem Stückchen Papier verklemmt. Ich hatte auch Schwierigkeiten, aber jetzt geht es.«
    Yuki schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, ich finde, hier wird es langsam etwas schmuddelig. Als ich heute morgen gekommen bin, war der Baderaum sehr unordentlich. Die Abdeckplatten«, sie deutete auf die drei Deckel aus Hartplastik, die ordentlich aufeinandergestapelt waren, »lagen quer über den ganzen Boden verteilt. Deshalb war das Wasser etwas kühler, als es sein sollte.«
    Das Wasser hatte die richtige Temperatur für mich, aber ich machte ein angemessen bedauerndes Gesicht.
    »Ich hoffe, daß keiner der Ausländer Seife im Wasser benutzt hat. Ich weiß, daß Engländer und Amerikaner in Bädern Seife benutzen. Vielleicht kennen Sie unseren Brauch nicht, sich zuerst unter der Dusche zu reinigen.«
    Unangenehme Erinnerungen an die Zeit wurden wach, als ich immer gebeten wurde, für meine amerikanische Mutter zu übersetzen, was sie beschämte und mich ausgesprochen defensiv machte. Ich wechselte das Thema.
    »Danke für gestern abend.«
    »Nein, es war mir ein Vergnügen! Hat es Ihnen gefallen?«
    »Sehr sogar.« Es hatte sich gelohnt, auch wenn wir den Spaziergang nicht nur zu dritt gemacht hatten, wie ich gehofft hatte. Mr. Nakamura und Mr. Yamamoto hatten sich uns auf halber Strecke zugesellt. Sie waren ziemlich außer Puste. Wahrscheinlich waren sie eine Weile nach uns losgegangen und dann gerannt, um uns einzuholen.
    Beim Tempel wäre mir beinahe meine Kamera aus der Hand gefallen, als ich die jungen Männer sah, die in kurzer Baumwolljacke und im Lendenschurz die Glocke läuteten. Bei religiösen Festen im Sommer hatte ich schon spärlich bekleidete Männer gesehen, aber nie bei zehn Grad Kälte. Ich wandte den Kopf ab, und Yuki bekam einen Lachanfall.
    »Das gehört zur Neujahrstradition, Rei-san! Die knappe Kleidung zeugt von ihrer Stärke.«
    »Dafür ist es zu kalt.« Meine Füße waren in zwei Paar Socken und Wanderstiefeln schon taub vor Kälte.
    »Der Alkohol hat diese Jungen sehr warm gemacht«, beruhigte mich Taro. »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Als die Jugendlichen fertig waren, applaudierten alle und bildeten eine Schlange; jeder wollte versuchen, die Glocke zu läuten. Das war weit komplizierter, als ich erwartet hatte; man mußte an einem Seil ziehen, das einen waagrechten Klöppel bewegte, der dann gegen die riesige Bronzeglocke schlug. Mr. Nakamura mühte sich als erster ab und produzierte einen unbeholfenen Halbton. Zuviel Bier. Er machte einen Witz darüber und reichte das Seil weiter an den jungen Mr. Yamamoto, der den Klöppel mit seinen kräftigen
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