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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds
Autoren: Aufbau
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Neuigkeiten auszutauschen. Nachdem sie die
     Nachprüfung bestanden hat, macht Nalan sich dieses Jahr ganz gut in der Schule, Timur hat den Lehrer auf der Straße getroffen
     und mit ihm geredet. Außerdem hatte Timur seine Spritze, mit der er die Bäume mit Insektenschutzmittel besprüht, in diesem
     Herbst verliehen, und er hat sie noch nicht wieder. Falls er sich eine neue kaufen muß, wird er sie nicht mehr verleihen,
     sondern sich dafür bezahlen lassen, auch in den Gärten anderer zu sprühen, jawohl. Ceyda hat gestern, als er gerade weg war,
     Opa gesagt, und kalt war es letzte Nacht, nicht wahr, wir haben gefroren, und heute morgen haben Gül die Augen getränt, als
     sie aus dem Haus trat, so hart wehte der Wind, die Arbeit läuft gut, und gestern ist mir das Garn ausgegangen, und ich bin
     abends immer völlig erledigt, und lies doch noch mal den Brief deiner Schwester vor, und den von der anderen Schwester, und
     weißt du noch, wie ich meine Uhr verloren hatte, und weißt du noch, wie du mich mal schlagen wolltest, und kannst du mir ein
     paar Walnüsse mitbringen und getrocknete Aprikosen, die von dem Baum hinten an der Mauer, die schmecken am besten, und ich
     habe bald gar keine Haare mehr auf dem Kopf, mit Fatma haben mich auch meine Haare verlassen, aber nun sind |298| sie ganz fort, und hast du schon gehört, und all die Worte, mit denen man versucht, zwei Leben noch mehr miteinander zu verbinden.
     
    Gül ist so in Anspruch genommen von den Kindern, der Arbeit, dem Haushalt, daß sie den Anfang des Frühlings verpaßt. Eines
     Tages reißt ihr Garn, die Maschine verstummt, und zum ersten Mal in diesem Jahr nimmt Gül das Vogelgezwitscher wahr. Sie schaut
     auf die Akazie, die schon grünt, und ganz plötzlich ist sie erfüllt von der Freude, die sonst immer langsam wächst. Wieder
     wird ein Sommer angekündigt, wieder versprechen die Vögel, daß die Luft flirren wird und die Grillen zirpen werden, das große
     Wasser wird durch die Gärten fließen, man wird abends vor den Sommerhäusern auf den Stufen sitzen und quer über die Straße
     rufen, Sibel und Melike werden kommen, wieder wird sie einen Geschmack von Sorglosigkeit im Mund haben, und das Licht wird
     aufs neue bis ins Mark ihrer Knochen scheinen.
    Gül singt nie laut, sie summt höchstens leise vor sich hin, doch an diesem Tag fühlt sie sich wenigstens so, als könnte sie
     laut singen. Gib freudvolle Töne von dir.
    Dieser Frühling nimmt ihr Suzan. Eines Tages steht sie mit einem Brief in der Hand vor Gül, die in ihre Arbeit versunken ist.
    – Möge es dir leichtfallen, sagt Suzan, und Gül schreckt hoch, ihr Fuß hört auf, sich zu bewegen, die Nähmaschine verstummt.
    – Deine Mutter hat mich reingelassen, sagt Suzan.
    – Was ist mir dir? fragt Gül. Du siehst so … so ratlos aus.
    – Er will uns nachholen. Murat hat schon eine Wohnung gemietet. Er kommt diesen Sommer nicht. Er hatte es versprochen.
    – Freust du dich nicht?
    – Was sollen wir denn dort?
    – Aber alle gehen doch hin. Es wird bestimmt gut sein, du wirst sehen.
    |299| – Ach, vielleicht hast du ja recht, Kleines. Vielleicht mache ich mir zu viele Sorgen, sagt Suzan, aber sie scheint es selber
     nicht zu glauben.
    – In sechs Wochen, wir fahren in sechs Wochen schon.
    – Ich werde dir ein schönes Kleid nähen, das du dort anziehen kannst. Du wirst mir schreiben, oder?
    – Ja, ich werde dir schreiben.
    Gül weint erst, nachdem sie Suzan verabschiedet hat. Die Tränen tropfen auf das Kleid, das sie an diesem Tag anfängt zu nähen,
     sie tropfen auf ihr Abschiedsgeschenk.
    Der Frühling nimmt ihr Suzan, und Gül glaubt zunächst, die Zeit würde ihr lang werden ohne ihre Freundin, doch der Sommer
     ist vorbei, ehe sie weiß, wie ihr geschieht. Bei der Apfelernte sitzt Güls Schwager Levent auf einem Stein und raucht und
     raucht noch eine, und vielleicht sieht er den jungen Mädchen, die auf die Bäume klettern, unter den Rock, doch sicherlich
     genießt er den Schatten des Blätterdachs und das leise Rascheln, er genießt mit dem Gesichtsausdruck des Müßiggängers, als
     sein Vater hinter ihm auftaucht.
    – Arbeiten, Levent, mein Sohn, arbeiten sollst du. Oder willst du ein Schmarotzer sein in deinem eigenen Haus?
    Levent wird rot und läßt die Zigarette fallen, die er in der hohlen Hand verborgen hat.
    – Niemand wird satt von Müßiggang, mein Sohn, auf, auf.
    Nachdem ihr Schwiegervater gegangen ist, kann Gül, die mitgehört hat, ihre Genugtuung
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