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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds
Autoren: Aufbau
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Tränen kullern.
    – Es wird schon werden, sagt sie, es wird schon werden, er ist ein Kämpfer. Mein Murat gibt nicht auf. Die Kinder brauchen
     doch einen Vater, Gül, die Kinder brauchen doch einen Vater.
    – Ja, sagt Gül, sie brauchen einen Vater.
    Sie hat Murat in den drei Wochen, die er zurück ist, erst ein einziges Mal auf der Straße gesehen. Doch schon bald sieht man
     ihn häufiger, meistens blickt er grimmig und nickt nur stumm, wenn er jemanden erkennt. Er redet mit einigen Männern im Teehaus,
     raucht Wasserpfeife und legt beim Backgammon einen Ehrgeiz und eine Wut an den Tag, daß bereits nach kurzer Zeit keiner mehr
     Lust hat, mit ihm zu spielen. Obwohl kaum Geld im Haus ist, macht er keine Anstalten, wieder zu arbeiten.
    – Wie soll das enden? fragt Suzan ihn eines Abends.
    – Falsch, sagt Murat, hier läuft alles falsch. Was für ein gottverfluchtes Land. Unter all diesen Menschen ist keine ehrliche
     Haut. Alles Lügner, Betrüger, Nepper und Schleimer, hier läuft alles falsch, dieses Land ist voller Idioten, die ein Arschloch
     als Hirn haben. Ich weiß nicht, wo das enden soll.
    |291| – Pscht, sagt Suzan, du bringst den Kindern neue Wörter bei.
    – Wir werden verschwinden.
    – Wohin?
    Murat nickt nur und zieht sich die Schuhe an.
    – Wohin willst du?
    – Ich bin in ein paar Tagen wieder da. Ich habe die Schnauze voll.
    – Wohin gehst du? Murat? Du wirst mich doch nicht allein lassen?
    – Nein, sagt er, nein, ich lasse dich nicht allein. Du bist meine Frau.
    Aber Suzan fühlt, daß er fortgehen wird. Und sie weiß nicht, ob sie die Kraft haben wird, das auszuhalten.
     
    Auch Güls zweites Kind ist ein Mädchen, sie nennen es Ceren. Fuat kann seine Enttäuschung weder vor Gül noch vor seinen Eltern
     verbergen.
    – Sie ist gesund, sie hat zwei Hände und zwei Füße, alles ist an seinem richtigen Platz, sagt Gül. Wir sollten dem Barmherzigen
     danken. Solange ich schwanger war, habe ich darum gebetet, daß mein Kind gesund auf die Welt kommt.
    Und gleichzeitig fragt sie sich, ob Fuat in der Lage wäre, mit dem Rauchen aufzuhören wie ihr Vater, wenn Gott ihm dafür einen
     Sohn schenken würde. Wahrscheinlich nicht, denkt sie. Aber Fuat wird von einem Tag auf den anderen das Rauchen aufgeben, lange
     vor ihr, und für Gül wird es so aussehen, als fiele es ihm leicht. Nur das Trinken wird er nicht in den Griff bekommen, bis
     sein Magen ihn schließlich im Alter von sechzig Jahren zwingen wird, seinen Konsum erheblich einzuschränken.
    Gül ist mit ihren Töchtern beschäftigt in diesem Sommer, Melike prahlt allerorten, wie es ist, in der großen Stadt zu leben
     und wen sie nicht alles gesehen hat, als sie am Bosporus spazierenging. Nur mit wem sie spazierengegangen ist, das erzählt
     sie niemandem, keiner erfährt von dem großgewachsenen, gutaussehenden, galanten Sportstudenten aus Izmir, |292| der mit seiner zurückhaltenden Art ihr Herz erobert hat. Mert fehlen oft die Worte, wenn sie zusammen sind und er nichts getrunken
     hat. Doch er ist auch ein Hitzkopf, ein Mann, der von einem Moment auf den anderen die Kontrolle verlieren kann. Als sie eines
     Tages in Beyoğlu spazierengehen, sind sie einem Mann im Weg, der seinen Cadillac auf dem Bürgersteig parken will und versucht,
     das Paar vom Gehsteig zu hupen. Tut. Tut tut. Tuuuuuut. Tuuuuuuut. Mert geht zum Wagen, reißt die Tür auf und gibt dem Mann
     eine schallende Ohrfeige, fast lauter als die Hupe seines Autos.
    – Hier ist ein Bürgersteig, du Ochse, hier haben Fußgänger Vorrecht, du Scheißlimousinenfahrer, brüllt er.
    Melike ist es peinlich, aber gleichzeitig ist sie stolz auf Mert, weil er so ist wie sie. Er läßt sich nichts gefallen.
    Melike hat sich den Winter über immer wieder vorgestellt, wie sie zu dritt auf der Truhe ihrer Mutter sitzen würden und wie
     sie Gül und Sibel von Mert erzählen würde, von seinen lockigen Haaren, seiner Schüchternheit und von seinem Jähzorn. Daß er
     noch größer ist als ihr Vater, das hätte sie sich gern bis zum Schluß aufgespart. Doch sie sitzen nicht zu dritt zusammen,
     nicht in diesem Sommer, weil Gül zwischen Näharbeiten und ihren beiden Töchtern kaum genug Zeit findet, ins Sommerhaus zu
     fahren, geschweige denn in Ruhe mit ihren Schwestern zusammenzusitzen.
     
    Sibel hat ein Problem, um das der Schmied sich kümmert. Sie hat die Schule abgeschlossen, aber weil sie erst in einigen Monaten
     volljährig wird, kann sie im nächsten Schuljahr noch nicht
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