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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann
Autoren: Hera Lind
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    N ebenan steht ja plötzlich ein Haus!«, rief Pauline mit vollem Mund. Sie zeigte mit ihrem Löffel auf die Fensterfront zum Garten. »Schaut doch nur!«
    Wir reckten den Hals. Tatsächlich! Hinter der blühenden Holunderhecke war wie aus dem Nichts ein Fertighaus aufgestellt worden. Junge Leute schleppten Kartons aus einem Möbelwagen ins Haus. Sie agierten so schnell und lautlos, dass man meinte, fleißige Heinzelmännchen seien am Werk.
    »Das ist ja direkt neben unserer Einfahrt!«, stellte Volker gereizt fest und wischte sich den Mund mit der Damastserviette ab. »Ich hatte ja gehofft, auf diesem Gründstück würde nie gebaut.« Er verzog missbilligend das Gesicht.
    »Ach, Liebster! Vielleicht sind die neuen Nachbarn nett!« Liebevoll legte ich meine Hand auf die seine. Ich sah uns schon alle zusammen im Garten grillen, plaudern und lachen. Endlich Nachbarn! Ich fühlte mich schon viel zu lange etwas einsam in unserem Landhaus oberhalb von Salzburg.
    »Volker, hast du auch noch Brot?« Schwiegermutter Leonore sprang geschäftig auf und rannte diensteifrig in die Küche, als ob ich miserable Hausfrau mal wieder nicht in der Lage gewesen wäre, meinen Mann zu verköstigen. Dabei türmten sich die Brotscheiben und Semmeln im Körbchen. In Wahrheit konnte sie nur nicht ertragen, dass ich ihren Sohn »Liebster« nannte.
    »Leonore, es ist noch alles da«, presste ich mit einem Mindestmaß an Höflichkeit hervor.
    »Jetzt kann ich gar nicht mehr den Wendekreis nutzen und muss umständlich rückwärts ausparken!« Volker war kein bisschen erfreut über die Baustelle da drüben.
    »Dass das so schnell geht«, wunderte ich mich und reichte Pauline unauffällig die Serviette. Wenn meine neunjährige Toch ter Cornflakes mampfte, nahm sie es mit ihren Manieren nicht so genau. Sofort erntete ich von Leonore einen »Du-kannst-sie-wirklich-nicht-erziehen«-Blick.
    »Als die Jungen in diesem Alter waren, konnten sie sich bei Tisch schon benehmen«, sagte Leonore spitz, während sie sich umständlich wieder setzte und Volker zwei Scheiben Brot auf den Teller legte. »Wiebke war wenigstens konsequent.«
    Bäh! Trockenpflaume Wiebke! Volkers erste Ehefrau, eine Apothekerin aus Flensburg, die gern zerknitterte naturbelas sene schlammfarbene Sackkleider aus dem Dritte-Welt-Laden trug und statt einer Handtasche einen recycelten Kartoffelsack aus Jute benutzte. Eine, die zum Lachen in den Keller ging und meinen Volker kein bisschen glücklich gemacht hatte mit ihrem freudlosen Früchte- und Kräutertee. Von wegen Gute-Laune-Tee, dass ich nicht lache! Bei Trockenpflaume Wiebke gab es nur ökologisch angebautes Vollkornmüsli mit garantiertem Ver dauungseffekt, das »vorher« und »nachher« genau gleich aussah. So! Das hätte ich Schwiegermutter Leonore gern mal in aller Deutlichkeit gesagt. Tat ich aber nicht, weil mir der Familienfrieden wichtiger war.
    »Ein Kran hat gestern die Einzelteile gebracht«, unterbrach Charlotte meine Frustgedanken und wedelte genervt mit den Armen in der Luft herum: »Hallo, hört mir hier mal einer zu?«
    »Natürlich hören wir dir zu, Liebes.«
    »Kinder haben bei Tisch NICHT das Wort zu führen«, belehrte mich Leonore. Ihre stahlgraue Turmfrisur saß heute wieder eins a. Ob sie darin wohl eine Kranichfamilie beherbergte oder zumindest ein Nudelsieb, das ihr zu diesem Stand verhalf? Heimlich nannte ich die Frisur den »schiefen Turm von Pisa«.
    »Wir haben uns früher bei Tisch GEMELDET , wenn wir etwas sagen wollten.« Sie sandte mir einen Adlerblick, in dem Triumph glomm. Tja, Leonore. Du damals. Wie toll!
    »Wir sind aber nicht mehr im Mittelalter«, giftete Charlotte ihre Großmutter an. Meine Dreizehnjährige hielt zu mir. Dafür liebte ich sie. Dafür durfte das Monster Pubertät an ihr herumzerren, so viel es wollte.
    Betretenes Schweigen machte sich breit. Leonore und ich hatten, gelinde gesagt, recht unterschiedliche Vorstellungen von der Rolle der Frau. Auch in Erziehungsfragen waren wir nicht immer einer Meinung. Sie hatte sich für Volker »aufgeopfert«, wie sie nicht müde wurde zu betonen, und ihre Operettenkarriere aus lauter Mutterliebe an den Nagel gehängt. Und da hing sie seitdem und starrte uns böse an. Welche Karriere will schon gern an einem Nagel hängen? Wir, Volker, die Kinder und ich, waren die Opfer ihrer am Nagel hängenden Karriere. Immer wenn Leonore bei uns zu Besuch war – und das war sie bei Gott oft! –, nahm sie die Karriere vom Nagel und begann, uns ganze
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