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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann
Autoren: Hera Lind
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schlang die Arme um ihre Knie. »Wir ziehen ja so schnell nicht wieder aus!«
    »Na hoffentlich«, sagte Sven lachend und legte zärtlich den Arm um sie. »Mein Vater hat mir dieses Grundstück vererbt, und da ich beruflich bald wieder weg muss, haben wir Nägel mit Köpfen gemacht und ganz schnell ein Fertighaus draufgestellt. Meine Frau hat nämlich ein Engagement am Landestheater!«
    Oh Gott. Sie war WIRKLICH Musikerin! Aber Leonore würde sie mir NICHT wegnehmen! Sie würde KEINE Etüden mit ihr spielen. Schon gar nicht vierhändig. Nur über mein Leiche.
    Hörbarer Stolz schwang in Svens Stimme mit, als er sie zärtlich anschaute. Lisa errötete vor Freude und Aufregung: »Ja, sie haben mich für die nächste Spielzeit engagiert! Ich kann es noch gar nicht fassen!«
    »Bist du Schauspielerin? Wie cool ist das denn!« Charlotte war ganz nah an sie herangerückt und vergaß ganz, dass sie doch eigentlich keinerlei Regungen zeigen wollte.
    »Sängerin. Sopranistin.«
    Ich hatte es geahnt. Für einen Augenblick wusste ich nicht, was ich sagen sollte.
    »Oh. Ähm … ach so.« Charlotte und ich wechselten einen Blick, der eine Spur Entsetzen erhielt.
    Lisa gab ihr einen liebevollen Stups. »Das ist wahrscheinlich jetzt gar nicht mehr cool.«
    »Na, auf so Geträller steh ich nicht so. Das tut unsere Oma schon ständig. Aber bitte nicht persönlich nehmen …«
    »Singma!« Paulinchen hopste begierig mit ihrem Schlappohrenteddy vor ihr auf und ab.
    »Boh, bist du paaaainlich!« Charlotte hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst.
    »Vielleicht singt sie anders als die Oma. Nicht ganz so … schrill.«
    »Meine Schwiegermutter hat ihre Karriere schon seit Langem an den Nagel gehängt«, sagte ich erklärend. »Sie war mal Operettensängerin in Pritz an der Knatter.«
    Lisa lachte amüsiert. »Was soll ich denn singen?«
    »Was kannst du denn?«
    »He, Mama, sag ihr, dass sie die Klappe halten soll …«
    »Wer, deine Schwester oder ich?«
    Na, auf den Mund gefallen war Lisa jedenfalls nicht. Und dann sang sie einfach. Sie stellte ihr Glas ab, stand auf und machte eine ausladende Geste, als wollte sie ein imaginäres Orchester dirigieren, und schmetterte mit strahlend schönem Sopran: »O mio babbino caro« .
    Mir blieb der Mund offen stehen. Das Mädel war ja gut! Die konnte ja richtig was! KEIN Vergleich zu dem schauderhaften Blechvibrato von Leonore!
    Selbst Charlotte, die zuerst nicht wusste, in welches Mauseloch sie sich verkriechen sollte vor lauter Peinlichkeit, starrte Lisa staunend an und vergaß völlig, ihr Gesicht zur üblichen Ich-halt’s-nicht-aus-Grimasse zu verziehen.
    Sven drehte nur sein Glas in den Händen und schaute seinem trällernden Frauchen verliebt zu. Seine Augen leuchteten. Die beiden waren so süß!
    Ich war dermaßen erleichtert, dass ich beinahe laut gelacht hätte. Was für entzückende Nachbarn!
    Als die glockenhelle Lisa fertig jubiliert hatte, verbeugte sie sich strahlend vor Paulinchen, die begeistert in die Hände klatschte. Die Schlappohren des Teddys klatschten gleich mit.
    Wir applaudierten auch, sogar Sven, obwohl er solche Darbietungen seiner entzückenden Frau sicher schon gewöhnt war. Die Gläser, die wir auf der Bank vor dem Kamin abgestellt hatten, klirrten leise.
    »Mensch, toll!«, entfuhr es mir. »Was sagt ihr, Kinder? Jetzt kriegen wir hier mal ganz andere Privatvorstellungen.« Ich zwinkerte ihnen verschwörerisch zu. »Richtig gute!«
    »Ich hoffe, Sie können es ertragen, wenn ich nebenan übe«, sagte Lisa, immer noch erhitzt von ihrer Darbietung. Ihr Blu senkragen hüpfte im Takt zu ihrem Herzklopfen, und ihre Wangen waren leicht gerötet.
    Ich möchte fast sagen, das war der Moment, in dem ich mich in Lisa verliebte. Vielleicht, weil sie mir die Freude an der Musik wiedergab. Oper und Operette war für mich bisher einfach ein vermintes Gelände gewesen. Ich schloss sie augenblicklich ins Herz, wünschte mir nichts sehnlicher, als ihre Freundin, Nachbarin, ältere Schwester, Managerin – ja, alles auf einmal zu sein. Ich sah mich schon ihren Terminkalender führen, ihre Fanpost beantworten und ihre Verehrerblumen entgegennehmen: »Frau Ritter ist im Moment nicht zu sprechen. Ich bin ihre Agentin. Ja, Ihre Autogrammwünsche leite ich zuverlässig weiter. Nein, sie ist im nächsten November schon total ausgebucht. Nein, sie gibt KEINEN Gesangsunterricht. Aber ich kenne da eine sehr lustige Witwe in der Seniorenresidenz an der Hellbrunner Allee …«
    »Deswegen
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