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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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geringsten Berührung abbröckelt.
    Fuat mag seine Arbeit nicht, soviel steht fest, aber er macht sie, weil er sie kann. Was soll er sonst tun? Gül sieht Fuats
     Zustand mit Besorgnis. Doch wenigstens streiten wir uns weniger, denkt sie.
    Ihr Bauch scheint schneller zu wachsen als bei Ceyda, und auch ihr Appetit ist viel größer. Manchmal ist sie selber ganz erstaunt,
     wie lange das dauern kann, bis sie satt ist. Auch die morgendliche Übelkeit ist dieses Mal fast ganz ausgeblieben. Vielleicht
     wird es ja jedesmal einfacher, denkt sie. Es gibt diese Frauen, die morgens hochschwanger zur Arbeit aufs Feld gehen und abends
     mit einem Säugling zurückkommen. Vielleicht ist es aber auch nur deshalb so, weil die Bauern auf dem Dorf nicht genug Geld
     haben, um Hilfsarbeiter einzustellen.
    Das Geld in der Pappschachtel mehrt sich, doch eines Tages, in diesem grauen matschigen Herbst, beobachtet Gül, wie Fuat einen
     Schein in den leeren Karton legt. Sie sieht ihn fragend an.
    – Es ist weg, sagt Fuat leichthin.
    Gül hebt die Hände, schiebt den Kopf vor und zieht die Augenbrauen hoch: Wohin?
    – Das Leben ist ein Spiel. Wer nichts wagt, der gewinnt auch nichts, stellt Fuat fest.
    Es scheint ihn nicht zu bedrücken.
    – Wenn du mir eine Nähmaschine kaufen würdest, könnte ich auch etwas verdienen, sagt Gül.
    – Wieviel würde das denn sein?
    – Zehn Kuruş sind zehn Kuruş, sagt Gül. Es wäre mehr als nichts. Ich könnte Kleider nähen, Änderungen machen. Es würden genug
     Frauen zu mir kommen, ich weiß das.
     
    |289| Als Fuat eine Nähmaschine mitbringt, ist es Frühling. Güls Bauch zieht alle Blicke auf sich, manche vermuten, sie würde Zwillinge
     gebären, doch auch ihre Wangen sind voller geworden, und manchmal ißt sie heimlich, weil ihr mittlerweile peinlich ist, wieviel
     sie sich einverleiben kann. Ihre Schwiegermutter macht eine Bemerkung darüber, daß Gül wohl mühelos ein ganzes Blech Baklava
     essen könnte. Sie meint es als Scherz, aber Gül glaubt, wirklich dazu in der Lage zu sein. Sie kann alles essen, wenn es nur
     keine Schokolade ist.
    Obgleich ihr Bauch ihr beim Nähen im Weg ist, sitzt Gül in diesem Frühling oft kauend an der Nähmaschine und fühlt sich wohl.
     Das Surren beruhigt sie, manchmal verschwinden alle Gedanken aus ihrem Kopf, manchmal überläßt sie sich den Erinnerungen,
     die sie überkommen. Erinnerungen an Candan und Esra, an die Stunden, in denen sie das Schneidern gelernt hat. Noch immer empfindet
     sie die gleiche Befriedigung wie damals, wenn sie etwas genäht hat.
    Es hat sich viel verändert, denkt sie, ich habe jetzt ein eigenes Kind, einen Mann, eine Nähmaschine, ein anderes Leben. Es
     kommt ihr nicht unbedingt vor wie ihr eigenes, aber es hat sich verändert. Nun kann sie, nachdem sie Fuat gefragt hat, einen
     blendendweißen Baumwollstoff kaufen, aus dem sie Suzan eine Bluse näht. Es soll eine Überraschung sein, und Gül freut sich
     mehr darauf, Suzan etwas schenken zu können, als sie sich über die gebrauchte Maschine gefreut hat.
    Zwei Tage nachdem sie Suzan die Bluse geschenkt hat, kommt die Nachricht, daß Murat aus dem Gefängnis entlassen wird. Gegen
     Mittag erhält Suzan den Brief, und bereits am Abend steht ihr Mann mit einem fast leeren Leinensäckchen vor der Tür. Er ist
     abgemagert, seine Wangenknochen schauen hervor, seine Schultern wirken spitz unter dem Hemd, und sogar seine fleischige Nase
     scheint geschrumpft zu sein.
    – Ich habe Hunger, sind seine ersten Worte.
    Tagelang geht er nicht aus dem Haus, liegt im Bett, schläft, ißt und raucht Zigaretten und starrt den Rauchringen hinterher,
     seine Augen sind leer, erloschen.
    |290| – Sie haben ihn gefoltert, sagt Suzan zu Gül, und Gül fragt zwar nicht, aber Suzan fügt hinzu: Er redet nicht darüber. An
     seinem rechten Daumen und Zeigefinger hat er keine Nägel mehr. Tagsüber schläft er, nachts sitzt er im Dunkeln und raucht.
     Was soll ich nur machen? fragt sie unter Tränen. Was soll ich nur machen, ich habe meinen Mann zurück.
    Gül kommt sich schuldig vor, weil sie keine Antwort weiß. Sie würde gern helfen, so wie Suzan ihr immer geholfen hat, aber
     sie kann ihre Freundin nur in den Arm nehmen:
    – Möge der Herr auch diesen Sorgen ein Ende bereiten. Vielleicht braucht er nur ein wenig Zeit.
    – Ach, du Ärmste, sagt Suzan, du bist schwanger, dein Bauch berührt fast schon deine Nase, und ich habe dir nichts zu erzählen
     als Sorgen.
    Sie lacht, während die

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