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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds
Autoren: Aufbau
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Melike wird ihn heiraten,
     und sie werden zwei Kinder bekommen. Sie wird an der gleichen Schule Französisch unterrichten, an der ihr Mann Sportunterricht
     gibt, und sie wird glücklich sein mit diesem Leben, das sie sich selbst ausgesucht hat.
    Auch von Sibel kann Gül sich nicht verabschieden, weil sie in einem Dorf im Südosten arbeitet. Sie ekele sich vor den unhygienischen
     Zuständen dort, hat sie geschrieben, immer wieder würde sie Herpes bekommen. In dem Sommer, in dem Melike ihren Auserwählten
     mitbringt, wird ein Mann um Sibels Hand anhalten, der fünfte oder sechste mittlerweile, und sie wird ja sagen und hinterher
     erklären, er habe ausgesehen, als sei er ihr Schicksal. Ein Mann, der Gitarre spielen und singen kann, aber nicht zufrieden
     ist mit seiner Arbeit in der Zementfabrik. Die Ehe wird kinderlos bleiben, und sie werden nicht viele Freunde haben, doch
     sie werden friedvoll und harmonisch in einem kleinen Haus am Rande der Stadt leben.
    Nalan wird in Istanbul, während sie Melike besucht, schwanger werden, und der Barbesitzer, der der Vater ist, wird sie nach
     acht Jahren verlassen. Sie wird nie wieder heiraten und es mit Stolz sehen, daß ihre Tochter Schauspielerin wird.
    Emin wird acht Jahre für die Grundschule brauchen, die regulär nur fünf dauert, und niemand wird ahnen können, daß er als
     einziger in der Familie reich werden wird. Er wird sein Geld an der Börse anlegen, wird in für Außenstehende schwer nachvollziehbare
     Import-Export-Geschäfte investieren und mit Mitte Vierzig ausgesorgt haben. Seine Gier wird ihn aber immer weiter hinter dem
     Geld hertreiben.
     
    Gül stattet ihre Abschiedsbesuche ab, sie geht zu den Nachbarn, zu Tante Hülya, zu ihren Eltern, zu Esra und Candan. |305| Ceyda und Ceren sollen das Jahr bei ihren Großeltern verbringen, bei Faruk und Berrin, und Gül weiß, daß die beiden dort gut
     aufgehoben sind. Es ist das Haus, in dem sie ohnehin seit ihrer Geburt wohnen, das glückbringende Haus. Doch es zerreißt ihr
     das Herz, daß sie sie zurücklassen muß. Sie würde lieber bei ihren Töchtern bleiben, aber sie muß mitverdienen, damit die
     Familie schneller wieder zusammenkommt. Wie Suzan immer gesagt hat: Die Kinder brauchen einen Vater.
    – Du brauchst nichts mitzunehmen, sagen alle, ihre Mutter, ihre Schwiegermutter, die Nachbarn. Es gibt dort alles, du kannst
     dir alles kaufen, und es ist viel besser als hier. Warum willst du Plunder mitschleppen?
    So steht Gül dann mit einem kleinen Pappkoffer am Bahnhof, und fast alle, von denen sie sich einzeln verabschiedet hat, sind
     gekommen. Am Morgen war ihr Vater bei ihr, und sie haben nebeneinandergesessen, ohne ein Wort zu sprechen. Gül hat Timur nicht
     direkt ins Gesicht gesehen, doch sie haben so nah beieinandergesessen, daß sie riechen konnte, wie sein Atem säuerlich wurde.
     Dann hat er die Nase hochgezogen und gesagt:
    – Nächstes Jahr, im Sommer, werden wir alle wieder zusammensein. Du wirst dasein, deine Schwestern werden dasein …
    Er hat sein Glück in die Zukunft verschoben. Doch es wird tatsächlich so sein, Jahr für Jahr, viele Jahre lang werden die
     Geschwister ins Sommerhaus kommen, und Timur wird sich freuen an seinen Kindern und seinen Enkeln. Dieses Ritual, diese sorglosen,
     gleißenden Sommer werden erst nach seinem Tod aufhören.
    Keine einzige Wolke ist am Himmel, und wenn man in der Sonne steht und sich nicht bewegt, kann man schon spüren, wie der Schweiß
     ganz langsam aus der Haut kriecht, obwohl es erst Frühling ist. Ein Bekannter ihres Vaters, ein alter Bauer namens Yavuz,
     wird Gül bis Istanbul begleiten, sie ist nicht allein, ihre Aufregung hält sich noch in Grenzen. Als der Zug schließlich abfährt,
     laufen ihr die Tränen, Yavuz nestelt ein Taschentuch aus seiner Hose und reicht es Gül.
    |306| – Auch das geht vorbei, Kleines, weine nicht. Der Herr möge dich und die deinen wieder zusammenführen. Es ist schwer, in die
     Fremde zu gehen. Weißt du, meine Familie ist damals aus Griechenland hierhergezogen. Es ist ein hartes Los, aber man muß nicht
     weinen. Wir leben, dem Herrn seis gedankt, wir leben, wir stehen auf unseren eigenen Füßen. Lächle, Kleines, lächle, sagt
     der alte Mann mit seinem Dorfdialekt. Eines Tages könnte einer von uns beiden nicht mehr hiersein, um zu lächeln. Wir werden
     alle von diesem Ort scheiden, also lächle. Die ganze Welt ist eine Fremde, die wir irgendwann verlassen werden.
    Dann lenkt er Gül ab mit
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