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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don
Autoren: Tage der Toten
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Don Winslow
     
    Tage der Toten
     
    Kriminalroman
     
    Aus dem
Amerikanischen Chris Hirte
     
    Die
Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel
    The Power of the Dog
     
     
    Errette
meine Seele vom Schwert, mein Leben von den Hunden!
    22. Psalm 20
     
    Prolog
     
    El Sauzal, Provinz Baja, California
     
    Mexiko
     
    1997
     
    Sie hält
ihr totes Baby in den Armen.
    Aus der
Position der Leichen schließt Art Keller, dass die Mutter ihr Kind schützen
wollte. Es muss ein Instinkt gewesen sein, denkt Keller, sie muss gewusst
haben, dass sie die Kugeln einer Kalaschnikow nicht mit ihrem Körper aufhalten
kann. Nicht aus dieser Entfernung. Trotzdem hat sie sich weggedreht, als sie erschossen
wurde, und fiel auf ihren kleinen Sohn.
    Hat sie
wirklich geglaubt, ihr Kind retten zu können? Vielleicht wollte sie ihm den
Blick ins Mündungsfeuer ersparen, denkt Keller. Vielleicht sollte ihre
mütterliche Brust sein letzter Eindruck von dieser Welt bleiben. Geborgen in
Liebe.
    Keller ist
Katholik. Mit seinen siebenundvierzig Jahren hat er eine Menge Madonnen erlebt.
Aber keine wie diese.
    »Cuernos
de chivo«, hört er einen Polizisten sagen.
    Ganz
leise, fast flüsternd, wie in der Kirche.
    Cuernos de
chivo - Ziegenhörner. So nennen sie die Kalaschnikows.
    Keller hat
es schon an den Patronenhülsen vom Kaliber 7,62 gemerkt. Hunderte davon liegen
auf dem Beton des Innenhofs verstreut, auch ein paar 12er Schrothülsen und
5,56er von der AR15, wie es aussieht. Aber die meisten Hülsen stammen vom
Ziegenhorn, der bevorzugten Waffe der mexikanischen Drogenmafia.
    Neunzehn
Tote.
    Neunzehn
weitere Opfer im Drogenkrieg, denkt Keller. In den vierzehn Jahren seiner Fehde
mit Adán Barrera hat er so manches gesehen, hat er
sich an den Anblick von Toten gewohnt. Aber nicht neunzehn auf einmal. Frauen,
Kinder, Säuglinge. Das nicht.
    Zehn Männer,
drei Frauen, sechs Kinder.
    An der
Hofmauer aufgereiht und erschossen.
    Zerfetzt ist
zutreffender, denkt Keller. In Stücke gerissen in einer hemmungslosen
Schießorgie. Und jetzt in einem Bluttümpel liegend, in einer dicken Schicht
aus schwarzem, getrocknetem Blut. Blut klebt an den Wänden, Blut durchtränkt
den gepflegten Rasen, dessen Halme schwarzrot glitzern. Wie winzige blutige
Schwerter, denkt Keller.
    Offenbar
haben sie sich gewehrt, als sie merkten, was ihnen bevorstand. Mitten in der
Nacht aus den Betten gerissen, auf den Hof gezerrt, an der Wand aufgereiht - es
hat ein Kampf stattgefunden, Möbel sind umgeworfen, klobige, schmiedeeiserne
Gartenmöbel. Überall liegen Glasscherben verstreut.
    Keller
schaut sich weiter um - eine Puppe mitten in der Blutlache. Braune Glasaugen
starren ihn an. Gleich daneben ein kleines Stofftier und ein niedliches
Pinto-Pferdchen aus Plastik.
    Kinder,
aus dem Schlaf gerissen, klammern sich an ihre Kuscheltiere. Auch dann, wenn
Gewehre knallen. Besonders dann.
    Er muss an
den Stoffelefanten seiner Kindheit denken. Den Stoffelefanten, ohne den er
nicht ins Bett ging. Der hatte nur noch ein Auge, war fleckig von Erbrochenem
und anderen Absonderungen und roch auch so. Bis ihn seine Mutter heimlich
eines Nachts durch einen neuen ersetzte, mit zwei Augen und reinlichem Geruch.
Am Morgen bedankte er sich für den neuen Elefanten und holte den alten aus der
Mülltonne zurück.
    Arthur
Keller spürt, wie etwas in ihm zerbricht.
    Die
erwachsenen Opfer tragen teure Seidenpyjamas und Negligés, manche auch
T-Shirts. Zwei, ein Mann und eine Frau, sind nackt - aus dem Liebesakt
gerissen, denkt Keller, und in einer obszönen Blutorgie geopfert.
    Einer
liegt allein da, an der Wand gegenüber. Ein alter Mann, das Familienoberhaupt.
Wahrscheinlich als Letzter ermordet, denkt Keller. Gezwungen, der Auslöschung
seiner Familie beizuwohnen, und dann ebenfalls erschossen. Aus Gnade? Aus einem pervertierten Gefühl der Barmherzigkeit? Dann sieht er die
verstümmelten Hände des alten Mannes. Erst wurden ihm die Fingernägel
ausgerissen, dann die Finger abgehackt. Sein Gesicht ist im Schrei erstarrt,
die Finger stecken in seinem Mund.
    Das bedeutet, dass die Mörder in seiner Familie einen dedo vermuteten, einen Finger, einen Zuträger.
    Und ich habe sie zu dieser Annahme verführt.
    Gott vergib mir.
    Er schreitet die Reihe der Toten ab, bis er den findet, den er gesucht
hat.
    Als er vor ihm steht, krempelt sich sein Magen um, er muss sich
zusammenreißen, um nicht zu erbrechen. Das Gesicht des noch jungen Mannes ist
heruntergepellt wie eine Bananenschale. Die Hautlappen
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