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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
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brennen, nicht nur für ein paar Tage, sondern für immer. In der Kapelle, jenem kleinen, runden Gebäude, das der Vater, kaum fünfzehn Schritte vom Domus entfernt, der Gottesmutter Maria zu Ehren hatte errichten lassen und wo die wandernden Prediger, die durch die Lande zogen, manchmal Messen gefeiert hatten, brannte seit Félipas Tod das Lux perpetua, das ewige Licht. Ob sie für den Vater dort auch eines entzünden sollte?
    Der Gedanke an ein solches Flämmchen machte ihr Angst. Mochte es auch gut gemeint sein und dem Zwecke dienen, der unsterblichen Seele zu gedenken – es war doch auch aus jenem grässlichen, tötenden, zerstörenden Feuer geboren! Das prasselnde Meer im Rücken empfand Caterina die Vorstellung von ewiger Dunkelheit als tröstlicher.
    Freilich, in die Kapelle sollte sie dennoch gehen. Die letzten Worte des Vaters fielen ihr ein und wurden nun, da sie sich nicht länger mit seiner Todesstunde befassen wollte, zur Krücke, um sich über das drohende Gefühl von Verlorenheit hinwegzubewegen. Caterina erhob sich ein wenig, stand zwar nicht gänzlich auf, aber krabbelte – einem Käfer gleich – auf allen vieren in jene Richtung, wo sie die Kapelle vermutete. Nur wenige aufgeregte, unrhythmische Herzschläge später hatte sie sie schon erreicht. Gottlob war sie heil geblieben und nicht von den Franzosen zerstört worden, die den Vater – ihren frommen Vater! – der Ketzerei angeklagt hatten.
    Sie richtete sich weiter auf, stieß mit der einen Hand das hölzerne Tor auf, kroch dann den Gang entlang und legte sich schließlich vor dem schmalen, steinernen Altar auf den Boden, flach wie vorhin. Hart war das Holz, bot kein Versteck, erlaubte es ihr nicht, sich einzugraben, zu schrumpfen, zu verschwinden.
    Erst nach einer Weile erhob sie sich, wenngleich mit geducktem Kopf und gesenktem Blick, schlich zum Altar, im fahlen Licht halbblind.
    Der Schatz – es pochte in ihrem Kopf –, sie musste den Schatz finden, den kostbarsten Besitz der Familie. Sie musste in Sicherheit bringen, was der Vater als Beweis seiner Rechtgläubigkeit benannt hatte, das Zeichen, dass er Katholik war, kein Katharer. Denn keiner von diesen würde den Schatz verehren ...
    Vorsichtig tastend griff sie zuerst nach dem Psalter, aus Pergament gemacht und mit Holzdeckeln eingebunden; eine Silberplatte, worin das Wappen der Familie von Mont-Poix eingraviert war, befand sich darauf. Caterina strich darüber, suchte kurz Zuflucht bei einem der Gebete, die der Psalter enthielt.
    Domine quid multiplicati sunt qui tribulant me multi insurgunt adversum me. Tu autem Domine susceptor meus es gloria mea et exaltans caput meum.
    Herr, wie zahlreich sind meine Bedränger; so viele stehen gegen mich auf. Du aber, Herr, bist ein Schild für mich, du bist meine Ehre und richtest mich auf.
    Es bot ihr nicht lange Labsal, noch war sie getrieben von der Pflicht, die ihr der Vater aufgetragen hatte – und von der Verzweiflung, der Einsamkeit, die dahinter lauerten.
    Lange zögerte sie, den Schatz zu berühren; er befand sich in einem kleinen, gut versiegelten und vergoldeten Kästchen mit einer Inschrift, der Cedula, die unter dünnem, mattem Glas unscharf zu lesen war. Das Kästchen war würfelförmig, nur an einer Seite – einem Giebeldach gleichend – liefen die vier Seitenflächen auf eine Spitze zu. Kleine, kostbare Edelsteine waren hier angebracht: blutroter Rubin, matt glänzender Rosenquarz und grüner Malachit. Auf dass sie es nicht mit ihren Fingern beschmutzte – gewiss waren sie rußgeschwärzt, verdreckt von der Erde, vielleicht klebte daran sogar des Vaters Blut –, nahm Caterina einen der Ärmel ab, die an der Schulter an ihr Kleid gebunden waren. Sie verknotete das untere Ende, sodass ein Säckchen daraus wurde, stülpte es über das Kästchen und nahm es so an sich. Wieder knickte sie in sich zusammen, wenngleich sie sich nicht wieder flach auf den Boden legte, sondern – den Schatz an ihren Bauch gepresst – den Kopf auf ihren Knien barg.
    So hockte sie Stunde um Stunde in der Kapelle, bis das schaurige Prasseln, das vom nahen Domus kam, verebbt war, das flackernde Licht des Feuers zur Ruhe gekommen war und an seiner statt rötliche Morgendämmerung in die Kapelle fiel.
    Caterina blinzelte, als sie aufstand und hinaustrat. Bis auf die wenigen Schritte, die vom Domus zur Kapelle führten, war sie seit zehn Jahren nicht mehr im Freien gewesen, und bei diesen Anlässen hatte sie niemals hochgeblickt, um – wie jetzt – den
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