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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
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sie hastig, ohne genau zu wissen, was sie versprach, »ich schwöre, dass ich versuchen werde ...«
    Sie kam nicht weiter. Pèires Kopf kippte nach hinten, das klare Blau seiner oft so starren Augen verrutschte in ein gelbliches Weiß, und was immer da auf die brennende Decke blickte, war kein menschliches Antlitz mehr, sondern die Fratze des Todes. Caterina folgte seinem leeren Blick. Gerade noch konnte sie sich zur Seite rollen, ehe brennende Holzbalken, die sich gelöst hatten, mit lautem Krachen niederstürzten und den toten Vater unter sich begruben.
    So durfte niemand sterben, so nicht.
    Caterina wusste später nicht mehr zu sagen, wie sie dem brennenden Haus entronnen war. Mehr instinktiv als willentlich war sie dem schweren Gebälk ausgewichen, und ähnlich gedankenlos musste sie danach ins Freie gekrochen sein, wo sie nach der Hitze des Brandes eine kalte, schneidende Nacht erwartete, von den roten Flammen erhellt, aber nicht erwärmt. Sie blieb am Boden hingestreckt liegen. Noch war das Entsetzen über die Ereignisse verdeckt von einem fast nüchternen Gedanken: So durfte man als guter Christ nicht sterben, so durfte die Todesstunde nicht ausschauen.
    Anstatt das Grauen an sich heranzulassen, malte sich Caterina sämtliche Prozeduren aus, die vonnöten gewesen wären, um dem Vater einen »guten Tod« zu bescheren anstatt einen solch schändlichen.
    Menschen, viel mehr Menschen hätten hier sein müssen – nicht nur sie allein hätte an seiner Seite weilen dürfen. Bei manch hochangesehenem Bürger des Landes versammelten sich um die hundert Gäste in seinem Haus, nahmen von ihm Abschied, beteten für ihn. Und wenn er dann gestorben war, so weinten diese Gäste und schrien und zerrissen sich die Kleidung.
    Caterina konnte nicht weinen. Ihr Hals war ausgetrocknet vom Rauch, ihre Augen brannten, aber wurden nicht feucht. Nicht einmal bewegen konnte sie sich, wie sie da lag.
    Oh, und gewaschen werde der Leib des Toten, mit duftenden Essenzen eingerieben, hernach ins Leichtentuch eingenäht, welches aus edlem Stoffe gefertigt war – am besten aus Seide, die mit Gold- oder Silberfäden durchwirkt war. So war man vor nicht langer Zeit mit der Mutter verfahren. Lorda hatte der Herrin diesen letzten Dienst erwiesen, der Busen wogend vor unterdrücktem Schluchzen, und der Vater war steif danebengestanden und hatte der toten Gattin versprochen, für all ihre Sünden Buße zu tun. Er würde Messen lesen lassen für Félipa, an die dreißig, sodass sie nicht zu lange im Fegefeuer zu verharren hatte.
    Unter Pèires strengem Blick hätte Caterina nie gewagt, diese Frage zu stellen – erst jetzt, da sie wie ein gefällter Baum lag und den gefräßigen Flammen zuhören musste, ging ihr durch den Kopf, für welche Sünden die Mutter wohl hatte Buße leisten müssen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die stille, ernste Félipa jemals etwas begangen hätte, was vor Gottes strengen Augen Ungnade gefunden hätte – schlichtweg, weil es nichts gab, was sie den lieben Tag lang machte oder sagte oder entschied.
    Desgleichen ging ihr durch den Kopf, dass bei Félipas Tod – wiewohl er sich lang im Voraus angekündigt hatte, die Mutter über Monate auszehrte, bis nur mehr ein Gerippe von ihr übrig war, kaum bedeckt von weißer, rissiger Haut – nicht die erforderlichen Gäste da gewesen waren, keine Freunde, keine Familie, keine Dorfbewohner. Wären jene gekommen, wenn der Vater nicht so schrecklich, sondern gleichfalls langsam siechend gestorben wäre? Gab es sie überhaupt – Freunde, Familie? Nun, Menschen aus dem Dorf gab es, das wusste Caterina. Einmal hatte sie sie durch die Ritzen ihrer Fensterbalken beobachtet, wie sie zum Domus des Vaters kamen, um die üblichen Abgaben zu entrichten. Nie hatte sie so viele fremde Gesichter auf einmal gesehen, dunkel und faltig wie die Rinde alter Bäume, mit nackten, verhornten Füßen und groben Händen. Der Vater war wütend gewesen, als er von ihrem unbotmäßigen Verhalten erfahren hatte, hatte sie drei Tage fasten lassen als Strafe für das heimliche Beobachten. Sie sollte nur sehen und hören und riechen, was er ihr vorsetzte – nichts anderes.
    Caterina scharrte mit den Füßen, als wollte sie sich tiefer in den Boden graben und Wurzeln schlagen. Dann würde das Gefühl der Leere sie nicht überkommen, nicht diese Ahnung von grenzenloser Einsamkeit.
    Sie versuchte all das zu vertreiben, indem sie sich weiter eine würdige Todesstunde ausmalte. Kerzen. Es mussten Kerzen
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