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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
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dringend dieser Akt erwartet wurde, und doch scheute sie sich, ihren Schatz loszulassen, ihn den Augen der Versammelten preiszugeben. Erst als das Geraune anschwoll, öffnete sie das Bündel. Einzelne Rufe erschallten, manch einer kniete nieder, andere senkten den Blick, als Zeichen des Respekts.
    Krëusa starrte auf ihren Schatz, trat drei Schritte zurück, um wie die anderen Ehrfurcht zu bekunden. Doch tief im Inneren fühlte sie nichts davon. Tief im Inneren war sie von etwas ganz anderem ausgehöhlt. Ihre Augen brannten ob des Rauchs – und ob der Tränen.
    »Setz dich zu mir«, murmelte Quintillus.
    Wie kann er nur so freundlich sein, ging ihr durch den Kopf. Er weiß doch, was ich getan habe. Er weiß es doch.
    Kurz überwältigte sie der Wunsch, es auszusprechen, es sich von der Seele zu reden, ja, zu schreien.
    Wenn ihr wüsstet ... wenn ihr nur wüsstet, von welcher schlimmen Schuld dieses Heiligtum zeugt, ging ihr durch den Kopf.
    Und dass ich sie auf mich geladen habe.
    »Ich werde euch die Geschichte erzählen«, sagte sie laut, » ... die Geschichte dieses Schatzes ...«

Kapitel I.
Languedoc, Frühling 1284
    Caterina wusste später nicht mehr, welches Geräusch in jener Nacht das unerträglichste gewesen war. Wenn sie sich nach der Lautstärke entschieden hätte, so wären es gewiss die Schritte der eindringenden Männer gewesen, das Krachen der hölzernen Tore, die unter deren Fußtritten nachgaben/ihr heftiges Gebrüll. Dieses Gebrüll bekundete keinerlei Willen, die schreckliche Anklage, die gegen ihren Vater erhoben wurde, mit Maß und Vernunft zu erforschen, sondern nur die Gier, möglichst viel und möglichst schnell zu zerstören.
    Aber der Lärm, den sie dabei machten, war nicht das Schlimmste – nicht das, was Caterina einem immerwährenden Echo gleich die nächsten Tage verfolgte. Die heisere Stimme des Vaters war es, des Grafen Pèire de Mont-Poix, einst zum hohen Adel des Languedoc gehörend, jedoch längst verarmt, geschunden wie sein Land, das die Franzosen vor vielen Jahrzehnten den Ketzern entrissen hatten und das sie seitdem knechteten – ebenso unbarmherzig, wie sich nun die eindringenden Männer gebärdeten. Pèire flüsterte mit Lorda, Caterinas Nutrix, ihrer Amme, die weit über die Zeit, da sie das Kindlein an ihrer dicken, weichen Brust genährt hatte, im Haus geblieben war. Als Witwe hatte sie keinen Ort, an den sie gehen konnte; das Erbe ihres Gatten war nicht groß genug gewesen, um davon den Lebensunterhalt zu bestreiten. Schließlich hatte sie auch Mitleid mit dem kleinen Würmchen gehabt. So nannte sie Caterina noch immer, obwohl jene längst vom pausbäckigen Säugling zur dürren Sechzehnjährigen herangewachsen war. Lorda meinte, dass Mutter und Vater der einzig überlebenden Tochter – all ihre anderen Kinder waren tot geboren oder kaum älter als zwei Jahre geworden – zwar manches geben konnten: eine gute Erziehung, rechtes Benehmen und Frömmigkeit, jedoch nichts von dieser Herzlichkeit, mit der Lorda das Mädchen dann und wann bei seinen Backen fasste. Nicht selten auch, dass sie Caterinas Kopf an ihren Busen presste, auch wenn von diesem nicht mehr die klebrige Milch von einst zu erwarten war.
    Lorda hatte ein gutes Herz, hieß es. Offenbar war es zu gut gewesen, wie Caterina jetzt ihren verzweifelten Worten entnahm. Die heiseren Fragen des Vaters suchte Lorda zu beantworten, fast gänzlich von jenem lauten, bösen Überfall übertönt. Doch auch das wenige, das bis zu Caterinas Ohr drang, verhieß Schreckliches.
    Ketzer.
    Immer wieder war von den Ketzern die Rede.
    »Warum hast du das getan?«, stöhnte Pèire entsetzt. »Warum hast du das getan?«
    Nie hatte Caterina den steifen Vater derart weinerlich gehört.
    »Es sind doch auch Menschen«, klagte Lorda. »Und sie wollten gewiss niemandem etwas Böses tun. Drei Frauen waren es nur. Versteckten sich vor den Franziskanern im Wald und lebten dort ärmlich in einem dieser Cluzel – einem in der Erde eingegrabenen Häuschen. Ich schwör’s Euch, Herr, ich habe nicht zugehört, wenn sie predigten. Ich habe mir mein Ohr nicht von ihrem Irrglauben vergiften lassen. Nur Essen habe ich ihnen gebracht ... nichts Feines ... das, was von unserer Tafel übrig blieb. Sie essen ohnehin kaum mehr als Brot und die Früchte des Waldes ... und ich dachte ... ach, sie sahen so hungrig aus, und der Herr im Himmel erbarmt sich doch auch der Sünder, heißt es, warum also sollte nicht auch ich etwas von diesem Erbarmen zeigen
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