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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
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– vielleicht hatte ich das rotgesichtige Lächeln meines früheren Herrn im Kopf –: Ich will, dass er mich sieht. Ich will, dass er meinen Namen kennt.
    Dies war mein Trachten. Darauf, dass es sich erfüllte, wartete ich lange Jahre. Ich beobachtete ihn ständig; ich sah zu, wie sein Blick den Menschen folgte (meist gleichgültig, manchmal abschätzig, niemals freundlich), ich versuchte, ihm nah zu sein, und es gelang mir, weil ich mich als die herausstellte, die am geschicktesten seinen steifen Nacken zu massieren vermochte. Er litt oft unter Hauptweh und hoffte unter meinen Händen Linderung zu finden, sein Schmerz war der hilfreichste Verbündete meiner Liebe. Aber er lächelte mich deswegen nicht an; er stöhnte nie, weder ob Qualen noch ob Labsal.
    »So ist er erzogen worden«, sagte Andromache, meine gleichaltrige Gefährtin, die sich darin hervortat, jenen Kuchen aus Mohn, Rosinen und Mandeln zu backen, den der frühere Herr Silvanus so geliebt hatte. »Schließlich ist er ein römischer Ritter. Doch gleichwohl er so erfolgreiche Schlachten in Moesien schlug, scheint ihm die Politik mehr ihm Blut zu liegen als der Kampf. Es heißt, dass er anstrebt, Senator zu werden. Ich weiß allerdings nicht, ob er im Intrigenspinnen besser ist als im Morden.«
    »Warum sollte er Intrigen spinnen?«
    »Nun, gegen den Kaiser Decius. Der stammt nicht aus Rom, sondern wurde in Pannonien geboren.«
    »Ja und?«
    »Er ist der erste seines Rangs, der nur aus der Provinz stammt, nicht aus der Hauptstadt, verstehst du nicht? Er hat sich unter Kaiser Philippus Arabs hochgedient – und wurde dann dessen schlimmster Feind. Er hat ihn in einer Schlacht besiegt, Philippus fiel samt seinem Sohn, und du weißt doch, Gaetanus war mit Philippus‘ Gattin verwandt ...«
    Sie hob vielsagend die Augen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. »Du siehst also«, fuhr Andromache fort, die wohl von meiner Besessenheit ahnte, von ihm gesehen zu werden. »Du siehst also – er hat keine Augen für unsereins. Von zu vielen Sorgen ist sein Blick verstellt.«
    Da wünschte ich mir zum ersten Mal, ich würde irgendwo ganz allein mit ihm leben, fern von Rom, fern von seinen Pflichten und Nöten. Anders als meine Liebe ging dieser Wunsch in Erfüllung.
    Eines Tages war Gaetanus noch bleicher als sonst; sein Haar schien auf den Schläfen angegraut; die Ringe unter den Augen waren geschwollen, schienen erstmals zu pulsieren.
    Ich traf ihn im Tablinum, seinem Arbeits- und Schlafzimmer. Ich trat zu ihm, lautlos, wie er es von uns Sklaven wünschte, legte meine Hände auf seine Schultern, im Glauben, dass das, was ihn quälte, nur die üblichen Kopfschmerzen wären.
    Da fuhr er gereizt herum, hob die Faust, ließ sie auf mein Gesicht niederknallen. Der Schlag brachte mich zu Fall. Betäubt blieb ich liegen – und war glücklich, so glücklich. Ich hatte ihn gestört, was hieß: Er hatte mich bemerkt. Ich schmeckte Blut auf meinen Lippen, salzig, metallisch, lebendig. Ich wischte es nicht ab, sondern spürte, wie es warm über mein Kinn tropfte. Um jeden dieser Tropfen, der auf den Boden traf, tat’s mir leid. In meinen Lippen pulsierte der Schmerz, dem Takt meines Herzschlages folgend.
    Doch da senkte er sein Haupt. Seine Miene glättete sich wieder. »Das wollte ich nicht«, sagte er.
    Plötzlich spürte ich keinen Schmerz mehr, meine Lippen schwollen an, wurden taub. Kaum gewahrte ich, dass noch weitere Worte aus ihm hervorperlten – von Fall und Zerstörung und Verbannung war die Rede. Ich verstand ihn nicht. Ich suchte keinen Sinn darin, harrte jeder Silbe nur darum, weil er Vergangenheit und Zukunft mit mir teilte; was er an diese Vergangenheit verloren hatte und was die Zukunft an kärglicher Hoffnung verhieß, wollte ich gar nicht genau wissen.
    Nur seine letzten Worte erreichten mich. Das Schweigen, das ihnen folgte, kündete nicht mehr von einer wie auch immer gearteten Nähe, sondern von Leere.
    »Wir werden Rom verlassen«, sagte er. »Wir werden auf einer einsamen, kargen Insel leben. Ich bin verraten worden.«
    Sein Blick war wieder tönern schwarz. Es ging mir auf, dass er nicht mit mir geredet hatte, sondern zu sich selbst, und dass ich nur zufällig zugegen war, als das geschah.
    Verraten ... aus der Heimat verstoßen ...
    Eigentlich war es das, was ich mir vor kurzem noch erhofft hatte. Er ganz allein auf der Welt. Und ich, die ich ihm zur Seite stand. Doch nun fühlte ich keine Genugtuung, nur Angst. Ich hatte unendliche Angst
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