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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
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Männer.
    Ihr Vater hatte nie auf die Predigten der Ketzer gehört – weder auf solche von Männern, noch auf solche von Frauen –, er hatte sich nie gegen die Franzosen erhoben. Und hatte sich doch deren Zorn zugezogen, lag nun unter einem Schutthaufen.
    Die Welt ist nicht nur sündig, dachte sie, vor allem ist sie ungerecht!
    Tränen standen Caterina in den Augen, obgleich sie wusste, dass nur Sünder weinen durften, die ihre Untaten bereuen. Sünden aber hatte sie heute noch nicht begangen. Würde sie auch frei von ihnen bleiben, wenn sie in diese unheimlich große Welt ging? Hätte der Vater ihr vielleicht geraten, einfach starr sitzen zu bleiben, bis sie des Hungertodes starb, um solcherart rein geblieben in den Himmel einzugehen? Aber nein, er wollte ja, dass sie den Schatz in Sicherheit brachte!
    Erst jetzt ging ihr auf, dass sie fortwährend das Bündel an sich gepresst hielt, so fest, dass sie kaum mehr Gefühl in den Händen hatte. Dies war ihre Aufgabe, der Grund, dass sie weiterlebte – und weiterging, Schritt für Schritt.
    Wieder beschwor sie Erinnerungen herauf, diesmal nicht an Mahnungen ihres Vaters, wie gute Weiber sich verhielten, sondern an all die Andeutungen, die er jemals über seine Herkunft, seine Familie gemacht hatte. Seine Eltern waren tot, das wusste sie, ihr Haushalt war klein. Aber eines Tages, da hatte Pèire von einem Verwandten gesprochen, nein, es war kein Bruder, auch kein Onkel, ein Vetter war es, jawohl, ein Vetter.
    Das Gehen – gleichwohl noch ziellos – machte ihr das Denken leichter. Unwillkürlich schloss sie die Augen, ging blind.
    Es gab also einen Vetter ihres Vaters. Freilich hatte Pèire nicht oft von ihm gesprochen, und wenn er es getan hatte, so in einem nörgelnden, ärgerlichen Ton, den er sich sonst verbat. Offenbar stand er nicht gut mit diesem Vetter – vielleicht, weil jener verdorben war? Ein Sünder?
    Ein Schreckensschrei entfuhr Caterina. Wiewohl ihre Schritte langsam und vorsichtig waren, stolperte sie über eine Wurzel, die über den Weg gewachsen war.
    Er heißt Raimon, ging es ihr im Fallen durch den Kopf; der Vetter meines Vaters heißt Raimon.
    Und mit einem tiefen Seufzen schloss sie ihre Augen.
    Sie wusste, dass sie aufstehen musste, weitergehen, den Vetter ihres Vaters Raimon de Mont-Poix suchen, aber ein wenig konnte sie doch noch liegen bleiben, nur ein klein wenig rasten von den vielen Eindrücken und den ersten beschwerlichen Schritten.
    Da entfuhr ihr ein neuerlicher Schreckensschrei, so schrill, dass sie einen Augenblick kaum glauben konnte, dass er ihrer Kehle entstammte. Denn während sie mit immer noch geschlossenen Augen dalag, fühlte sie, wie ein Schatten auf sie fiel und ihre Hand von etwas Warmem, Feuchtem berührt wurde.
    Caterina riss die Augen auf, starrte in gelbe, höhnisch blickende Augen, auf eine rote, raue Zunge, die ihr übers Gesicht leckte und scheinbar Geschmack daran fand, etwas anderes zu kosten als Kräuter und Gras. Mit einem neuerlichen Aufschrei stieß Caterina die Ziege zurück, die ein beleidigtes Meckern ausstieß, und fuhr hoch. Kaum sitzend überkam sie noch tieferer Schrecken. Zu der Ziege gehörte derer eine ganze Schar, und geleitet wurde diese von einem Jungen, schmächtig, aber zäh, der sich auf seinem schiefen Stock aufstützte und sie mit ausdrucksloser Miene anstarrte.
    Der erste Fremde seit Jahren.
    Rasch wandte sie sich ab, als könnte sie ihn allein dadurch vertreiben, dass sie ihn nicht anstarrte, wagte dann aber doch, ihn aus den Augenwinkeln zu mustern. Er war kaum größer gewachsen als ein Knabe, und ganz offensichtlich war er ein Hirte. Konnte von jenem Berufsstand Schlechtes zu erwarten sein, wenn Christus sich doch selbst oft mit einem Hirten verglichen hatte? Vielleicht sandte ihr Gott, der sich vor allem jener Schafe annahm, welche sich verlaufen hatten, ein Zeichen, wenn er ihr gerade diesen Jungen hier schickte! Vielleicht konnte er sie aus der Irre führen!
    Vorsichtig erhob sie sich, überlegte dann fieberhaft, welches Benehmen angeraten war. Dass der Junge schwieg, machte es ihr leichter, sich zu fassen – schien er sich solcherart an das Gebot zu halten, wonach ein Mann nicht einfach mit einer Frau spricht, wie auch diese Frau ihm nicht ins Angesicht blickt. Letzteres konnte sie freilich nicht ganz vermeiden, wollte sie herausfinden, ob dem Knaben tatsächlich zu trauen, von ihm Hilfe zu erwarten sei. Sie blinzelte, suchte das ausdruckslose Gesicht zu deuten, immer nur für die
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