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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
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muslimischen Sarazenen getötet wurde, die die Insel immer wieder unter ihre Herrschaft bringen wollten.
    Bei wieder anderen Versionen der Legende wird Julia von Korsika mit Julia von Carthago gleichgesetzt, die in einem Brief des Kirchenvaters Cyprian erwähnt wird und die zur Zeit des Kaisers Decius (249-251) das Martyrium erlitten hat. Ob diese Julia nach Korsika ausgewandert und dort gestorben ist oder ob ihre Reliquien erst später dorthin transferiert wurden, ist jedoch nicht zu entscheiden. Möglich ist auch, dass Julia nicht der Christenverfolgung unter Decius, sondern rund fünfzig Jahre später jener unter Diokletian zum Opfer gefallen ist. In dieser Legende taucht u.a. das Motiv auf, dass man – um ihren Leichnam zu schänden – ihre Brüste abgeschnitten und ins Meer geworfen hätte, an jener Stelle jedoch eine Quelle entsprungen wäre.
    Angesichts dieser unterschiedlichen Zeugnisse hat die Geschichte, die ich erzählt habe, nicht den Anspruch, ein verbürgtes Leben von Julia nachzuerzählen. Vielmehr ist es die Geschichte einer fiktiven Christin der Urkirche, in der lediglich manche Elemente und Namen aus den Legenden rund um die Heilige Julia aufgegriffen werden. Ich habe sie im dritten Jahrhundert angesiedelt, da mir die Christenverfolgung unter Decius – als die erste systematische des römisches Reichs und zugleich eine, auf die die Kirche nicht vorbereitet war und auf die viele ihrer Mitglieder mit Glaubensabfall reagierten – ein interessanter Hintergrund zu sein schien. Der Bezug zum Kirchenlehrer Cyprian schuf wiederum die Möglichkeit, Julia eine »theo- logische Heimat« zu geben. Dass Julia in manchen Legenden als Sklavin bezeichnet wird, führte mich zum Entschluss, ihre Geschichte aus der Perspektive einer solchen zu erzählen.
    Damit verwoben sind zudem auch andere Zeugnisse aus dem Urchristentum: die Verzweiflung ihres Vaters und der Versuch, die Tochter vom Martyrium abzubringen, ist ein bekanntes Motiv in Märtyrerberichten, es wird z.B. auch bei der Heiligen Perpetua aufgegriffen.
    Obwohl Julia vor allem auf der Insel Korsika allgegenwärtig ist, gibt es eine starke Verehrung in Norditalien, vor allem in der Gegend der Lombardei. In Brescia z.B. wurde schon im 8. Jahrhundert ein Benediktinerinnenkloster gegründet, das sich – getreu seiner Patronin – Santa Giulia nannte. Neben Brescia ist Julia – übrigens auch Patronin der Folteropfer – auch in Bergamo und Livorno die Stadtpatronin.
    Dies war für mich die Möglichkeit, das Leben von Julia mit dem von Caterina bzw. ihres Großvaters zu verknüpfen – ist doch die Flucht vieler Katharer in die Lombardei erwiesen. Manche von ihnen haben dort den katharischen Glauben weitergelebt, andere sich wieder zum Katholizismus bekannt.
    Fiktiv wie das meiste von Julias Geschichte ist die Geschichte von Caterina, Ray und Gaspare, auch wenn sie mit wesentlichen Ereignissen und Persönlichkeiten ihrer Epoche verknüpft ist.
    Dabei gab es vor allem zwei Herausforderungen zu meistern:
    Zum einen ist es immer schwer nachvollziehbar, wie viel der »einfache« Mensch des Mittelalters tatsächlich von Politik und den geistigen Strömungen seiner Zeit wusste. Seine Stimme bzw. seine Interpretation des Geschehens ist meist nicht dokumentiert. Jene Quellen beispielsweise, die vom Alltag und der Mentalität in Südfrankreich nach den Katharerkriegen berichten, also Einblick geben, inwiefern jene das Leben nachhaltig zerstört, verändert, geprägt haben und wie präsent der katha- rische Glaube bzw. die Furcht vor Ketzerei nach dem Fall der letzten großen Zentren (wie Montségur) war, sind spärlich – und tendenziös. So kann man von den gut dokumentierten Inquisitionsakten vieles nur indirekt ableiten bzw. oft nur Vermutungen anstellen. Als Beispiel sind die dort festgehaltenen Zeugenaussagen zu nennen, wonach Katharer entlarvt wurden, indem man ihnen Fleisch anbot oder Tiere zum Schlachten überließ – diese sich aber weigerten. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass dies ein brauchbares Mittel war, Fremde zu überprüfen und ggf. zu denunzieren – doch nicht, in welchem Ausmaß es angewendet wurde.
    Auch lässt sich belegen, wie viele Katharer zu welchem Zeitpunkt verurteilt und verbrannt wurden, in welchen Gebieten der Glaube noch länger eine Rolle spielte und in welchen er sehr rasch ausgemerzt wurde. Daraus kann man aber kein endgültiges Urteil darüber ableiten, ob im Jahr 1284 grundsätzlich noch ein Klima von Denunziation und
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