Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
plötzlich erinnerte sie mich an mich selbst und wie ich mich darüber erregt hatte, wenn Julia mit festem Willen etwas sagte, was für mich keinen Sinn ergeben hatte.
    Selbst jetzt noch ergab es keinen Sinn.
    »Meine Welt ist aus den Fugen«, fuhr ich fort, »aber Julia ... Julia Aurelia hatte ein Ziel, eine Bestimmung, eine Aufgabe.«
    »Du willst ihren Glauben?«
    »Ich will ihre Sturheit ... und ihren Halt. Ich will ihre Heimat.«
    Thaïs blickte mich kopfschüttelnd an, umso mehr, als ich nicht länger ruhig stehen blieb. Plötzlich warf ich mich mit aller Kraft gegen das Kreuz, hörte, wie es knirschte, wie das morsche Holz brach, wie es nach hinten kippte. Ich hätte in Kauf genommen, davon erschlagen zu werden, doch es fiel auf die andere Seite, der Querbalken brach entzwei. Er konnte nun niemandes Hände mehr auseinanderzerren, nicht mehr in die eine Richtung weisen und zugleich in die genau entgegengesetzte.
    Da lächelte ich, achtete nicht auf Thaïs, die mich wegziehen wollte. Ich blickte sie an und zugleich durch sie hindurch.
    »Krëusal«, rief sie. »Krëusa, was willst du tun?«
    Ich gab keine Antwort. Aber ich wusste es. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich griff nach dem zerborstenen Holz, brach ein Stück davon ab, störte mich nicht daran, dass es schmerzhaft in meine Finger stach.
    Ein Splitter von dem Kreuz, auf dem sie ihr Martyrium erlitten hatte.
    Julias Schatz.
    Ihr Vermächtnis, das ich fortan wahren würde.

Epilog
Korsika, Spätsommer 1284
    »Hier. Ich habe etwas für dich.«
    Caterina hatte Gaspare und Akil nachgeblickt, bis sie hinter einer der leerstehenden Häuserschluchten verschwunden waren. Beide hatten sich nicht mehr zu ihr umgedreht, doch in der lautlosen Stadt hatte sie bis zuletzt ihre dumpfen Schritte auf sandigem Stein vernommen.
    Ray hatte ihr eine Weile Zeit gelassen, da sie nur steif stand – dann war er zu ihr getreten, hatte sie sanft angetippt, hatte ihr schließlich ein Bündel in die Hand gedrückt. Sie sah es nicht an. Es genügte, den Stoff zu fühlen, um zu wissen, was sich darin verbarg.
    »Großartig«, sagte sie. »Wir sitzen auf einer Insel fest, die bald geplündert und besetzt wird. Wir haben kein Geld, um Brot zu kaufen, und hätten wir Geld, so gäbe es doch kein Brot. Und du sorgst dich ... darum?«
    »Der Kerkermeister ist geflohen, als die ersten Genuesen kamen«, erklärte er schulterzuckend, »er hat alles zurückgelassen ... auch deinen Schatz. Ganz gleich, ob er dir noch etwas bedeutet oder nicht – du solltest ihn nicht einfach aufgeben.«
    Sie wandte sich zu ihm um, aber ergriff das Bündel nicht. »Ich glaube, wir sollten auch fliehen, Ray. Nur wohin, wohin?«
    Sein Gesicht hatte die gesunde Farbe nicht wiedergefunden. Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihn erschöpft und aus- gelaugt zurückgelassen. Und dennoch wagte er ein Lächeln, vermeintlich furchtlos, kühn, ein wenig so wie einst, wenn ihn gerade das Bedrohliche des Überlebenskampfes mit Erregung erfüllte. Dies hier kannte er. Und ihr war wiederum die Erleichterung vertraut, nicht ganz allein auf dieser Welt zu sein, sondern an seiner Seite.
    »Also«, wiederholte sie, »wohin?«
    Caterina wusste nicht, wann genau Ray den Plan ausgeheckt hatte, den er ihr nun darlegte, desgleichen nicht, ob jener ausreichend durchdacht war – sie wusste jedoch, dass es gut war, ihm zu überlassen, der stillen, leeren Stadt etwas entgegenzuhalten, den Willen weiterzumachen, durchzukommen.
    »Sie halten uns für Genuesen«, sprach er hastig. »Also wollen wir zusehen, dass wir auf einem der Schiffe dorthin kommen. Auch wenn sie siegreich aus der Schlacht von Meloria hervorgingen, haben sie doch manchen Verwundeten zu pflegen, ich habe mich dafür schon angeboten – und habe ich nicht die Schulter des einen seinerzeit wieder hingekriegt? Also müsste es auch zu schaffen sein, ein paar Pfeilwunden zu versorgen. Und von Genua ist’s doch nicht weit in die Lombardei. Hast du dort nicht Verwandte, die Familie deiner Großmutter? War sie es nicht, die die Reliquie einst von einem Kloster erhalten hat?«
    »Von Sankt Julia in Brescia ... ja ...«
    »Nun, vielleicht sollten wir sie dorthin zurückbringen. Und wenn du sie nicht findest, diese Familie, so schlagen wir uns eben wieder nach Frankreich durch.« Er zögerte kurz. »Irgendwie ... irgendwie wird es schon gehen.«
    Er grinste sie an, aber das Lächeln erreichte die Augen nicht. Ernst starrte er sie an – vielleicht, weil jenes schlichte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher