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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
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Spuren nicht fand, sondern mein Blick nur auf schwarzes, totes Holz stieß. Oder das Bedauern, dass es keine Spuren mehr von ihr gab, als hätte es weder sie noch ihr Sterben gegeben.
    Ich starrte hoch zu dem Querbalken des Kreuzes, versuchte mir vorzustellen, wie es war, dort zu hängen.
    Einst war mein Leben einfach gewesen. Ich war Sklavin, Gaetanus mein Herr, ich wollte von ihm gesehen werden, ich wollte, dass er mich beim Namen rief, ein klares Trachten, ein benennbares Ziel.
    Aber seit Julia in mein Leben getreten war, stieß ich nurmehr auf Widersprüche. Sie war warmherzig – und eiskalt. Nie hatte mich ein Mensch so angeschaut wie sie, meinen Blick gesucht, meine Gefühle erahnt – und zugleich hatte sie durch mich hindurchgestarrt, wenn sie von ihrer Überzeugung sprach, hatte mich manchmal noch weniger gesehen als Gaetanus. Sie erzürnte mich, und sie zog mich an. Ich hatte sie an Gaetanus verraten, und ich hatte sie vor der Schändung gerettet. Ich hatte sie forthaben wollen, und ich verzweifelte daran, ihren Tod bedingt zu haben, nie wieder mit ihr sprechen zu können, nie wieder von ihr getröstet und aufgerichtet zu werden ...
    Und Gaetanus, ja. Ich hatte ihn fortgestoßen, als er mich küsste, ich hatte ihn nicht ertragen. Ich hatte alles getan, um einen Keil zwischen ihn und sie zu treiben, doch nun, da sie tot war, da er bei mir Trost suchte, wollte ich ihn nicht mehr.
    Ich schrie auf, ich breitete die Arme auseinander, als könnte ich, wenn ich mich nur lange genug freiwillig dieser Haltung aussetzte, verhindern, dass mich die Widersprüche innerlich zerrissen. Wenn ich mich nur lange genug dehnte und streckte, vielleicht würde es dann aufhören zu schmerzen.
    Dass Julia immer so lebendig gewesen war und zugleich wie tot. Und dass Gaetanus, der zum ersten Mal die Fassung verloren hatte, der nun von Schmerz zerfressen wurde, dessen Herzschlag plötzlich zu spüren war, trotz allem nach Tod roch.
    Das Leben ist ein Irrwitz, dachte ich. Ohne Gerechtigkeit, Logik und Ordnung. Nein, nicht ganz ohne Ordnung. Julia hatte nach einer Ordnung gelebt, auch wenn ich jene nicht kannte, nicht durchschaute – sie wäre nicht in den Tod gegangen, nicht so aufrecht und beherrscht, wenn sie zerrissen und zerrieben gewesen wäre, so wie ich mich jetzt fühlte. Sie hatte sich an etwas festgehalten, sonst hätte sie nicht ertragen, an diesem Kreuz zu hängen.
    »Krëusa, was tust du da?«
    Thaïs’ Stimme drang in mein Elend. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie mir gefolgt war, und nahm kaum wahr, wie sie nun neben mich trat.
    »Julia war ein so verwirrender Mensch«, murmelte ich, »aber sie selbst war nicht verwirrt.«
    »Krëusa ...«
    Thaïs trat dicht an mich heran, ich spürte, wie sie ob der Nähe zu dem Kreuz erschauderte, gleichwohl es verbrannt gewiss viel kümmerlicher aussah als zu dem Zeitpunkt, da Julia daran hing. »Was nützte es ihr, wenn sie doch tot ist?«, fragte sie leise.
    Ich schüttelte sie ab. »Und was nützt es mir, wenn ich lebe?«, gab ich heftig zurück. »Ich weiß nicht wofür, Thaïs, ich weiß nicht mit welchem Ziel. Es gibt nichts mehr, worauf ich mein Trachten richten kann. Ja, die Welt ist ein Irrwitz. Aber Julia ... Julia sprach von einer anderen Welt. Die Torheit der Welt ist Weisheit vor Gott.«
    »Hör auf, so zu reden! Wer sich zum Christentum bekennt, ist des Todes!«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Sie hat versprochen, mich frei zu machen. Aber ich will nicht frei sein, ich will ...«
    Ich zögerte weiterzusprechen, ließ lediglich die Arme sinken, stellte mich ganz nah an das Kreuz, auf ein kleines Fleckchen Erde, unsichtbar begrenzt von ihrem Geist, ihrer Macht. Ich fühlte es. Ich wünschte, es zu fühlen.
    »Ich will mich festhalten«, sagte ich. »Und woran soll ich mich halten, festhalten ... wenn nicht an ihr?«
    Thaïs schüttelte den Kopf. »Sie ist tot, Krëusa, verstehst du das nicht?«
    »Sie sagte, dass ihr Gott das ewige Leben schenkt. Und auch wenn sie tot ist – ich ... ich kann doch ihr Gedächtnis bewahren.«
    »Warum du?«
    »Weil alle anderen fortgelaufen sind. Ich bin allein hier. Ich bin die Einzige, die von ihr erzählen kann – jenem Quintillus vielleicht. Julia sagte, ich solle zu ihm gehen, wenn ich mehr von ihrem Glauben wissen wolle. Und ich werde zu ihm gehen. Ich werde von ihr berichten – und mir berichten lassen.«
    »Bist du verrückt geworden?« Sie klang nun nicht mehr flehentlich, sondern nur empört. Fast musste ich lächeln, denn
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