Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
und man ihr keine Fragen mehr stellte, als sie das Mahl geteilt hatten in Erinnerung an jenes Mahl, das Christus mit seinen Jüngern gefeiert hatte, als manche von ihnen eingeschlafen waren – es war sicherer, die Katakomben erst im Morgengrauen zu verlassen und sich in den hektischen Straßen zu verlieren, als zu dunkler Stunde für Diebe oder Unruhestifter gehalten zu werden –, ja, da setzte sich Quintillus zu ihr und suchte das Gespräch. Er war an ihrer Seite gewesen, als sie erzählt hatte, von Julia und den Ereignissen auf Corsica, aber er hatte nur zustimmend genickt, kein Wort gesagt. Erst jetzt war er bereit, etwas zu sagen.
    »Es war gut, dass du uns von Julia erzählt hast«, sagte er, »ich kannte sie auch – aber du hast sie von einer anderen Seite erlebt. Sie war eine so großartige Zeugin Christi. Sie ist uns allen als gutes Beispiel vorangegangen.«
    Seine Stimme klang ruhig und bedächtig, nur sein Blick flackerte. Kaum merklich sah er an Krëusa vorbei, anstatt ihren Augen standzuhalten. Sie wusste, warum das so war. Es lag nicht an seinem Alter, das ihn gebrechlich hatte werden lassen und so schwer auf ihm lastete, dass er den Kopf meist gesenkt hielt. Vielmehr plagte ihn bis heute, dass Julia seinerzeit das Martyrium erlitten hatte, wohingegen er geflohen war. Er war nicht der Einzige gewesen, aber es war trotzdem nicht minder beschämend für ihn, zumal in vielen anderen Gemeinden während der Verfolgung nur der Klerus hingerichtet, die gewöhnlichen Mitglieder aber geschont worden waren. In Aleria war es anders gewesen.
    Obwohl sein schlechtes Gewissen ihn quälte, hatte er sich Krëusa nie anvertraut – desgleichen wie sie ihm so viel verschwieg, von dem sie sich nicht sicher sein konnte, ob er es nicht doch ahnte.
    Dass ihr Julias Glaube an den gekreuzigten Gott stets fremd geblieben war. Dass sie niemals diesen Gott gesucht hatte, nur dessen Sicherheit. Dass sie Julia nicht aufrichtig bewundert und geliebt hatte, wie manche hier glaubten – gewiss auch noch nach ihrem Bekenntnis in dieser Nacht –, sondern dass die Erinnerung an sie stets von einer Mischung aus Scham und Unbehagen, Misstrauen und Verwirrung, Widerwillen und auch ein wenig Neid durchsetzt war.
    Und doch: Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Julia Aurelias Gedächtnis zu wahren, indem sie von ihr sprach, indem sie den kostbaren Schatz hütete, den jene hinterlassen hatte, Splitter des Kreuzes, das sie zu Tode gebracht hatte. Diese Aufgabe hatte ihr nicht Frieden geschenkt – aber das Wissen, zu welchem Zwecke sie lebte.
    Die christlichen Gemeinden, das wusste sie inzwischen, verehrten die Märtyrer. Sie erzählten sich ihre Geschichte, schrieben darüber in Briefen, trafen sich an den Stätten, wo ihre Gebeine ruhten, und bekundeten größten Respekt vor allem, was jemals ihren Leib berührt hatte.
    »Ja«, sagte Quintillus, »ja, es ist gut, dass du gekommen bist.«
    Nach Decius’ Tod war Friede auf Corsica eingekehrt; Quintillus, Marcus und die anderen verließen ihr Versteck in den Bergen. Es gab wieder eine christliche Gemeinde in Aleria, und Krëusa, die Julias Rat gefolgt war, Quintillus’ Nähe zu suchen, hatte sich unauffällig darin eingefügt, sich schließlich taufen lassen, den Ruf erworben, Julias treue Gefährtin gewesen zu sein. Nur Quintillus hatte sie einst den Verrat gestanden, den sie an Julia geübt hatte – doch jener hatte schwer genug an seiner eigenen Last zu tragen, am Gefühl, seines Amtes unwürdig zu sein. Als Gaetanus schließlich zurück nach Rom kehrte, hatte sie die Gemeinde verlassen – um erst kürzlich Quintillus hier zu begegnen.
    »Du weißt, dass mir nach Gaetanus’ Tod die Freiheit geschenkt wurde«, sagte sie. »Doch ich fühle mich nicht frei. Ich fühle mich so verloren hier in Rom. Es ist gut, hier zu sein.«
    »Denkst du noch oft an ihn?«
    »An Gaetanus?« Sie schüttelte den Kopf. »Nach jenem Tag hat er nie wieder meinen Namen genannt, ich bin ihm nie wieder aufgefallen; nur in seinem Testament hat er mich bedacht, indem er mir die Freiheit schenkte. Ich glaube nicht, dass ich ihm gleichgültig war wie einst. Ich glaube, er wollte nicht an Julia denken, und in mir sah er sie ...«
    Sie sprach nicht fort, aber sie fragte sich, wie seltsam diese Fügung war: dass sie diejenige geworden war, durch die die andere lebendig blieb. Einst hatte sie gewollt, dass man ihren eigenen Namen kannte. Und dann ... dann hatte sie den Wunsch zurückgestellt, um Julias Namen zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher