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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin
Autoren: Ursula Niehaus
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gewesen war als ihre leibliche, nicht zum Morgenmahl erschienen. Voller düsterer Ahnung war Fygen, die Lijses Fehlen als Erste bemerkt hatte, in deren Kammer hinaufgestiegen und hatte ihre einstige Kinderfrau friedvoll auf ihrer Bettstatt liegend vorgefunden. Im Schlafe hatte der Herrgott sie von dieser Welt abberufen, anscheinend, ohne ihr dabei Pein zu bereiten, stellte Fygen fest, ganz so, als wolle er ihr im Tode die Güte vergelten, mit der sie zu Lebzeiten ihre Schützlinge bedacht hatte. Denn in den Mundwinkeln der alten Frau hatte sich noch im Tode der Anflug eines Lächelns gekräuselt.
    Abwesend beobachtete Fygen, wie Eckert und ein junger Hausknecht Maren auf die Beine hievten, doch dann schüttelte sie den Kopf, um die Düsternis zu vertreiben, die von ihr Besitz zu ergreifen drohte. Der Beginn eines neuen Jahres war ein Grund zu feiern, aber nicht, sich in trüben Erinnerungen zu ergehen.
    Ihr Blick streifte den schütteren Haarschopf von Hans Her. Der Gemahl ihrer ältesten Tochter Sophie stand mit seiner Frau und deren jüngerer Schwester Agnes beisammen. Fygens Miene hellte sich merklich auf. Hans kam ihr gerade zupass. Mit einem Lächeln entschuldigte Fygen sich bei Katryn und steuerte auf ihren Eidam zu. Doch ehe sie ihn erreicht hatte, prallte etwas unsanft gegen ihre Hüfte.
    Wie ein Kobold sauste die vierjährige Sophie zwischen den Erwachsenen hindurch, gefolgt von ihrem um ein Jahr jüngeren Bruder Lazarus. Wild flogen ihr die dunklen Kringellöckchen um den Kopf. Im Rennen wandte die Kleine sich um. »’tschuldigung, Großmutter«, rief sie, um sogleich mit Wucht gegen Sophie zu prallen, ihre Tante und Patin. Zum zweiten Mal an diesem Abend schwappte Wein auf die glänzend polierten Bodendielen.
    »Sophie!«, rief Agnes tadelnd ihre Tochter zur Ordnung.
    »’tschuldigung, Tante Fya!«, rief Sophie und war schon weitergesaust.
    Lächelnd blickte Fygen ihrer Enkeltochter hinterher. Sie hatte diesen unbändigen Wirbelwind ganz besonders in ihr Herz geschlossen. Als Sophie angefangen hatte zu sprechen, hatte ihre kleine Zunge sich zunächst geweigert, Sophies Namen auszusprechen, und so war aus der älteren Sophie schließlich für alle Tante Fya geworden. Mit einem leisen Anflug von Bosheit befand Fygen, dass der Name recht gut zu ihrer schlaffen, energielosen Ältesten passte.
    Äußerlich harmonierte der zur Fülle neigende Hans Her mit Tante Fya. Der untersetzte Kaufmann wirkte behäbig und stets ein wenig unbeholfen, doch der äußere Schein trog. Hans war Geselle der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft und führte als solcher die Rechnung des Gelieger in Antwerpen, einer der bedeutenden Hauptniederlassungen der Gesellschaft. Wenn es einen Menschen in Köln gab, der über die Interna der Gesellschaft Bescheid wusste, dann er …
    »Hans, darf ich Euch einen Moment sprechen?« Mit diesen Worten legte Fygen ihm die Hand auf den Arm und führte ihn ein Stück beiseite.
    »Ihr immer mit euren Geschäften!«, maulte Tante Fya ihnen halbherzig nach. Einerseits missfiel es ihr sehr, dass die Arbeit ihres Gatten seine häufige Abwesenheit von Köln bedingte, andererseits enthob es sie auch den Erfordernissen einer aufwendigen Haushaltsführung, was ihrer Bequemlichkeit sehr entgegenkam.
    »Hattet Ihr je Schwierigkeiten mit Valencia?« Fygen kam sogleich auf den Kern ihres Problems zu sprechen.
    »Mit Valencia? Nein. Nicht, soweit ich mich erinnern kann. Im Gegenteil. Der Gelieger dort steht in gutem Rufe. Wir bekommen laufend Anis, Kümmel, Datteln und Mandeln von dort. Erst in der vergangenen Woche erhielt ich eine Lieferung von mehreren Ballen Reis, der in den Sümpfen um die Stadt herum gezogen wird, und wie stets war die Sendung beizeiten und einwandfrei. Warum fragt Ihr? Gibt es Anlass zur Klage?«
    »Ihr habt Schwierigkeiten?« Andreas Imhoff, Agnes’ Mann, schien die letzten Worte seines Schwagers aufgeschnappt zu haben und mischte sich ungefragt in das Gespräch. Seine Worte klangen herablassend, gerade so, als habe er nichts anderes erwartet. Doch das mochte daran liegen, dass Andreas mich um bald zwei Haupteslängen überragt, dachte Fygen und entschuldigte ihn damit.
    Sie blickte Hans an und schüttelte unmerklich den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht«, erwiderte sie kühl. Andreas brauchte nicht um ihre Probleme zu wissen. Es fehlte gerade noch, dass er oder einer der anderen Seidenhändler davon erfuhren und sich hinter ihrem Rücken darüber das Maul zerrissen oder – was
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