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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin
Autoren: Ursula Niehaus
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Leistung, wenn man bedenkt, welch vortreffliche Seidmacherin Fygen war.«
    Lisbeth setzte an, sich abermals zu bedanken, doch mit einem knappen Wink hieß Katryn sie schweigen. »Ich habe beschlossen, mich aus dem Geschäft zurückzuziehen, und werde dir daher ebenfalls meinen Betrieb übergeben.«
    Verblüfft starrte Lisbeth sie an. Ihre Müdigkeit war verflogen. Katryn konnte das nicht ernsthaft in Erwägung ziehen. Sie sollte zu ihrem eigenen Betrieb und dem ihrer Mutter nun auch noch den ihrer Schwiegermutter übernehmen? Wie sollte sie denn das bewerkstelligen? Ihr eigener Betrieb war mit den vier Lehrtöchtern, drei ausgelernten Lohnweberinnen und fünf Hilfskräften bereits sehr umfangreich. Doch die Weberei der »Frau Zur Roten Tür«, wie man Katryn nach ihrem Haus und dessen zinnoberrotem Tor nannte, war die größte der ganzen Stadt.
    Katryn schien zu ahnen, was in Lisbeth vorging. »Du schaffst das schon, da bin ich ganz sicher«, sagte sie mit einem aufmunternden Lächeln. »Und ich höre ja nicht über Nacht auf …«
    Aus den Augenwinkeln sah Lisbeth Rudolf wieder in den Saal treten. Sie mochte den gutmütigen Gastwirt, und sie wusste, er verehrte ihre Mutter seit langem. Mit einem Schmunzeln hatte sie vorhin bemerkt, dass er ihrer Mutter aus dem Saal hinaus gefolgt war, und geahnt, was er im Sinn haben mochte.
    Doch der versteinerten Miene nach zu urteilen, mit der Rudolf nun in den Saal zurückkehrte, schien das gründlich misslungen zu sein. Geradewegs, ohne den Blick abschweifen zu lassen, hielt er auf Maren zu, die einen weiteren Versuch unternahm, den Gästen Getränke zu reichen, nun allerdings aus tönernen Bechern.
    Wie betäubt griff Rudolf nach einem Becher und stürzte den Wein hinunter. Als sich die Magd von ihm ab- und anderen Gästen zuwenden wollte, packte er sie mit der freien Hand am Rock und hielt sie fest. Unsanft stellte er den leeren Becher zurück auf Marens Tablett, ergriff einen gefüllten und leerte auch diesen in einem Zug.
    Lisbeth zwang sich, ihren Blick von Rudolf abzuwenden und sich wieder auf das Gespräch mit Katryn zu konzentrieren. »Warum willst du die Weberei aufgeben?«, fragte sie die Schwiegermutter.
    »Einfach weil es mir reicht. Ich habe in meinem Leben genug gearbeitet. Die Geschäfte ermüden mich, und ich besitze ohnehin weit mehr, als ich zum Leben benötige.«
    »Und was wirst du stattdessen tun? Ich dachte immer, du liebst das Seidenmachen.«
    »Ja«, entgegnete Katryn mit einem feinen Lächeln. »Und genau das ist der Grund, warum ich aufhöre, mein Kind. Seit Jahren habe ich nicht mehr selbst am Webstuhl gesessen, und dafür werde ich jetzt endlich wieder Zeit finden: Zu weben, und zwar Stoffe für meinen eigenen Bedarf. Und vielleicht bekomme ich ja eines Tages doch noch Enkelkinder, die ich verzärteln darf.«
    Ein Schatten huschte über Lisbeths Züge, und sie wandte das Gesicht ab. Mit ihrer letzten Bemerkung hatte Katryn an einen schmerzlichen Punkt ihrer Schwiegertochter gerührt. Mehr als drei Jahre waren sie und Mertyn nun verheiratet, doch zu Lisbeths Kummer hatten sie bislang keinen Nachwuchs bekommen. Zu Beginn ihrer Ehe hatte es sie nicht gestört, dass sich der Kindersegen nicht sogleich einstellen mochte. Sie und Mertyn waren sich gegenseitig genug gewesen.
    Dann jedoch, als ihre Freundinnen nach und nach ihre ersten Kinder zur Welt brachten, ja, als sich bei ihrer Freundin Clairgin bereits das zweite ankündigte, hatte Lisbeth angefangen, sich zu sorgen, sich bange zu fragen, ob sie je ihr eigenes Kind in den Armen halten würde.
    Zum zweiten Mal an diesem Abend ließ ein dumpfer Schlag die Gesellschaft auffahren, das Krachen eines Körpers, der schwer auf die Bodendielen traf. Marens erschreckte Schreie gellten durch den Saal. Doch diesmal hatte es nicht sie ereilt, sondern Rudolf. Er hatte im Wein das Vergessen gesucht und sich hastig bis zur Besinnungslosigkeit betrunken. Reglos wie ein Sack Mehl, Arme und Beine von sich gestreckt, lag er da, während Maren kreischend das Weite suchte.
    »Sie fährt nach Valencia!«, lallte Rudolf undeutlich. Dann sackte sein Kopf zur Seite, und er verlor das Bewusstsein.
    Ganz so, als würde nun auch der Rest der Welt aus den Fugen geraten, krachten draußen vor der Wolkenburg die ersten Schüsse aus Handbüchsen. Auch wenn der Rat der Stadt diesen Brauch jedes Jahr aufs Neue zu unterbinden suchte, so ließen sich doch ein paar verwegene Handwerksburschen nicht daran hindern, mit angemessenem Lärm
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