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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin
Autoren: Ursula Niehaus
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noch schlimmer wäre – ihre Idee aufgriffen und versuchten, ihr zuvorzukommen.
    Imhoff, selbst Faktor der Memminger Vöhlin-Gesellschaft in Köln, wusste genau, wie die Dinge zu sein hatten. Schließlich hatte er ja bereits in jungen Jahren das Faktorenamt übernommen. »Im Umgang mit dem Handelsvolk bedarf es gewisser Klugheit und Härte«, tat er Hans und Fygen ungefragt kund, gleich so, als hätten sie es nicht gewusst. »Das muss für Euch als Frau …«
    Fygen verzog das Gesicht, als hätte sie auf etwas Saures gebissen, und Andreas ließ den Satz unvollendet, doch sein beredter Blick sagte genau, was er von Frauen in ihrem Gewerbe hielt.
    »Wenn ich Euch mit meinem Rat behilflich sein kann«, fuhr er gleichwohl fort und schob selbstgefällig eine braune Locke aus der glatten Stirn, »so lasst es mich wissen.«
    Welch eine unerträgliche Arroganz dieser Mann besaß, dachte Fygen. Zornesröte färbte ihr die Wangen, doch bevor sie etwas Grobes erwidern konnte, hatte Hans bereits seinen Schwager am Ärmel gefasst und beiseite gezogen. »Was denkt Ihr? Wird die Entdeckung des Seeweges nach Indien durch Vasco da Gama sich auf den Gewürzhandel in Venedig auswirken?« Er versuchte seinen Schwager abzulenken und schenkte ihm einen schläfrigen Blick aus blassgrauen Augen.
    »Im Leben nicht!«, entgegnete Imhoff entschieden. »Der Pfeffer kam schon immer über Venedig, und so wird es bis in alle Zeit bleiben. Bloß weil so ein dahergelaufener … oder vielmehr dahergeschwommener« – Andreas unterbrach sich, um über seine eigene geistreiche Bemerkung zu lachen – »Portugiese ein paar dreckige Inseln entdeckt hat, wird sich daran nichts ändern. Meine Familie in Nürnberg hat bereits vor fünfzig Jahren Anteile am Fondaco dei Tedeschi erworben.«
    Fygen wandte sich ab. Mehr noch als über ihren anmaßenden Eidam ärgerte sie sich über ihre eigene Empfindlichkeit. Den halb gefüllten Weinbecher in der Hand, strebte sie der Tür zu. Etwas frische Luft würde ihr jetzt guttun.
    Entschlossen stieg sie die breite Wendeltreppe hinab und querte den Flur im Erdgeschoss. Am steinernen Lavacrum hielt sie inne und tauchte die Hand in den kalten Wasserstrahl, den die beiden gehauenen Köpfe aus ihren geöffneten Mündern stetig in das Becken spien. Kurz benetzte sie sich die erhitzten Wangen, bevor sie in den Hof hinaustrat.
    Das war die Gelegenheit, auf die Rudolf gewartet hatte. Eine bessere würde es nicht geben. Den ganzen Abend über verspürte der Wirt des Goldenen Krützchens eine angespannte Unruhe. Ja, eigentlich hatte diese ihn schon befallen, als er in den frühen Morgenstunden erwacht war.
    Bereits am frühen Nachmittag, weit früher als gewohnt, hatte er seine Schürze abgebunden und zum Trocknen über den Tresen gehängt. Dann hatte er – ausschließlich der Reinlichkeit halber – die Badestube auf dem Berlich aufgesucht.
    Zweimal atmete Rudolf tief durch, dann straffte er die Schultern und folgte der Gastgeberin federnden Schrittes die Treppe hinab.
    Eisklare Abendluft umfing Fygen, als sie in den Hof hinaustrat, und schärfte ihr die Sinne. Hans Her hatte keinerlei Schwierigkeiten mit Valencia zu beklagen, rekapitulierte sie. Es schien wohl nur ihr höchsteigenes Problem zu sein. Vielleicht hatte Stephan doch recht? Etwas stimmte ganz und gar nicht in Valencia!
    Schritte auf dem Pflaster störten Fygen in ihren Überlegungen, und erst als das bleckende Licht der Fackeln, die den Hof erhellten, auf sein ernstes Gesicht fiel, erkannte sie Rudolf. Abwesend lächelte sie ihrem Freund aus Jugendtagen zu.
    »Fygen, ich weiß, dass Peters Tod dir schwer war«, hob er an. Seine Stimme klang belegt. »Doch seither ist mehr als ein Jahr vergangen, und ich glaube, heute ist der rechte Zeitpunkt.«
    »Wofür?«, fragte Fygen zerstreut. Ihre Gedanken weilten noch in Valencia.
    »Du weißt, dass ich dich liebe, dich immer geliebt habe. Seit dem Tag, an dem ich dich zum ersten Mal sah!«
    Es dauerte einen Moment, bis Fygen den Sinn von Rudolfs Worten erfasst hatte. Entgeistert starrte sie in sein blasses Gesicht, auf das das Mondlicht dunkle Schatten zeichnete. Rudolf liebte sie immer noch! Nach all den Jahren.
    Er hatte seine hoffnungslose Liebe tief in sich verschlossen gehalten. Hatte mit angesehen, wie sie Peter geheiratet hatte, wie ihre Kinder zur Welt gekommen und erwachsen geworden waren. Und dann, nach Peters Tod, hatte er mit Respekt ein Trauerjahr abgewartet. Und nun …
    Ehe Fygen sichs versah, hatte
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