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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin
Autoren: Ursula Niehaus
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das neue Jahr zu begrüßen.
    »E glöcksillig Neujohr!«, erscholl es von überall her. »E glöcksillig Neujohr!«, und leise murmelte Lisbeth die übliche Erwiderung: »Göv Gott, et wör wohr!«

2 .  Kapitel
    I ch würde mich in Grund und Boden schämen, so etwas zum Verkauf anzubieten!«, raunte Lisbeth ihrer Freundin Clairgin zu.
    Seit jenem lang vergangenen Tag, an dem Clairgin zu ihnen in die Wolkenburg gekommen war, um bei Fygen das Seidenhandwerk zu lernen, verband die beiden Frauen eine enge Freundschaft.
    Clairgin van Breitbach stammte aus Xanten. Allein und auf sich gestellt, ohne einen einzigen Verwandten in der Stadt zu haben, war sie, damals zwölfjährig, nach Köln gekommen. Rasch hatte sie sich an die gleichaltrige Lisbeth angeschlossen, und bis auf den heutigen Tag fühlte Lisbeth sich mit Clairgin enger verbunden als mit ihren Schwestern, denn mit ihr teilte sie ihre Liebe für das Seidmachen.
    Sosehr sich die beiden Frauen im Äußeren unterscheiden mochten – die dunkle Lisbeth mit ihrem frischen Teint und den wilden Locken, die ihr meist unter der Haube hervorzurutschen drohten, und die blasse, stets adrette Clairgin mit den wasserblauen Augen, der auch jetzt das ordentlich gescheitelte, glatte Blondhaar nicht weiter unter der weißen Haube hervorlugte, als es die Schicklichkeit gebot – so verschieden waren sie auch dem Wesen nach. Mit ihrer stillen, ausgleichenden Art war Clairgin stets der ruhige Gegenpol zu der lebhaften Lisbeth gewesen.
    Clairgin war nicht augenfällig schön, doch ihr ovales Gesicht mit den gleichmäßigen Zügen war in einer zurückhaltenden Weise anziehend, und dass Lisbeth die Auffälligere von beiden war, tat der Freundschaft keinen Abbruch. Im gleichen Jahr hatten sie ihre Prüfung vor dem Seidamt abgelegt, und Lisbeth hatte Mertyn noch im selben Jahr geheiratet, Clairgin ihren Mathias im Jahr darauf.
    Hätte man die beiden jungen Frauen je gefragt, was sie so zueinander hinzog, so wären sie wohl zu dem Schluss gekommen, dass es neben der Seidenweberei genau jene Gegensätze sein mochten, die sie aneinander schätzten.
    »Bitte?«, fragte Clairgin. Sie hatte Lisbeths Flüstern nicht verstanden.
    »Ich würde mich in Grund und Boden schämen, so etwas zum Verkauf anzubieten!«, wiederholte Lisbeth ihre Worte nun etwas lauter.
    »Tut sie auch«, gab Clairgin zurück und deutete mit dem Kinn auf Irma van Neyll.
    Mit gesenktem Kopf, das Gesicht von der Farbe eines Puters und die Hände verlegen in den Stoff ihrer Schürze gekrallt, stand die stämmige Seidmacherin vor den Versammelten.
    Grade einmal eine Woche war es her, dass man aus Frankfurt zurückgekehrt war, und kaum, dass man sich wieder eingerichtet und – so man noch welche hatte – die unverkaufte Ware zurück in die Lager getragen hatte, hatten die Zunftvorsitzenden, die beiden Damen und die beiden Herren vom Seidamt, das gemeine Amt einberufen, die allgemeine Meisterversammlung.
    Wie in jedem Jahr war die Zunft der kölnischen Seidmacherinnen nahezu geschlossen zur Messe gereist, bot doch die Fastenmesse in Frankfurt die besten Möglichkeiten, ihre Waren an den Mann zu bringen. Zwar verkaufte man einen Großteil der Seide gleich in Köln, wo nicht nur der Bischofshof in seinem Glanz nach dem edlen Tuch verlangte, sondern wo durch den wachsenden Wohlstand der Stadt seidene Stoffe nicht mehr nur für die Allerreichsten erschwinglich waren. Dennoch war der Bedarf auch dieser prachtvollen Stadt nicht groß genug, all die Seide aufzunehmen, welche die regsamen Seidenweberinnen des kölnischen Seidamtes herzustellen vermochten.
    In Frankfurt kamen alle zusammen, die im großen Stil zu kaufen und zu verkaufen trachteten. Händler der Hanse aus Nord und Ost, Kaufleute aus Flandern und London und nicht zuletzt die Vertreter der großen Oberdeutschen Handelshäuser, die ihre verzweigten Netze bis in den Mittelmeerraum spannten. Und die Geschäfte gingen gut, denn kölnische Seide hatte einen ganz ausgezeichneten Ruf in der bekannten Welt.
    Dieser Ruf, von dem ihr aller Wohl abhing, war es, der die Seidmacherinnen heute hatte zusammenkommen lassen. Denn eine von ihnen hatte diesen Ruf in Gefahr gebracht.
    Nicht alle achtunddreißig eingetragenen Meisterinnen, Hauptfrauen der Seidmacherzunft, waren erschienen. Doch jene, die ihr Gewerbe tatsächlich betrieben und nicht nur dem Papier nach Seidmacherin waren, wie Lisbeths Schwestern Agnes und Sophie, hatten sich eingefunden. Bald dreißig Meisterinnen waren
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