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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin
Autoren: Ursula Niehaus
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immer der Zorn mit ihrem Sohn durchgehen wollte, hatte die Mutter Alejandro beruhigend die Hand auf die Stirn gelegt und gemurmelt: »Wenn du nur recht fleißig bist und lernst, deine Gefühle im Zaum zu halten, dann wird er eines Tages stolz genug auf dich sein.« Ein »Inschallah« – so Gott will – hatte sie sich stets verkniffen.
    Das Räuspern des Advokaten holte Alejandro zurück in das Sterbezimmer. Die Hände um die Papierrolle gefaltet, stand dieser immer noch in respektvollem Abstand neben der Bettstatt, die dünnen Augenbrauen fragend hochgezogen, als erwarte er eine letzte Änderung, eine zusätzliche Anweisung.
    Einen unsinnigen Moment lang keimte in Alejandro erneut die Hoffnung. Doch sie zerstob mit der knappen Handbewegung, mit welcher der alte Wilhelm den Advokaten aus dem Raum winkte – nie hatte er eine einmal gegebene Anweisung widerrufen, wieso sollte er auf dem Sterbebett damit beginnen?
    Alejandro straffte sich. Heuchelei, dachte er, als der alte Wilhelm erneut die Hand hob. Dennoch senkte er pflichtschuldig das Haupt, wie es von einem gehorsamen Sohn erwartet wurde, damit der Vater ihm seinen Segen erteilen konnte.
    Doch mitten in der Bewegung fiel der Kopf des Alten leblos zur Seite, und die segnende Hand sank unverrichteter Dinge auf das Laken zurück – ganz so, als wolle der Herrgott sich gegen diesen letzten Akt der Unaufrichtigkeit des alten Wilhelm verwahren.

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    Teil I
    1499 bis 1500
    1 .  Kapitel
    V erdammt! Schon wieder Valencia!« Fygen Lützenkirchen entfuhr ein undamenhafter Fluch, und sie hieb die Faust auf das aufgeschlagene Journal, das vor ihr auf dem Pult lag. Der rüde Ton, der bisweilen im Umgang mit Händlern, Fuhr- und Schauerleuten vonnöten war, hatte bereits während des Dreivierteljahres, in dem sie nun als Faktor für die Große Ravensburger Handelsgesellschaft arbeitete, auf ihren Sprachgebrauch abgefärbt.
    Dieses für eine Frau ungewöhnliche Amt, das ihr Mann einst innegehabt hatte, war Fygen nach seinem Tod von den Regierern der Handelsgesellschaft, jenen drei Herren, denen die oberste Führung der Geschäfte oblag, angetragen worden. Peter Lützenkirchen, Seidenhändler und Englandfahrer, hatte bei dem Versuch, eine alte Begine aus dem brennenden Annenkonvent zu retten, sein Leben gelassen. Im letzten Moment noch war es ihm gelungen, die alte Frau ins Freie zu stoßen, bevor ihn ein herabfallender Balken traf.
    Fygen seufzte wie stets, wenn sie an den Brand im Annenkonvent dachte. Nicht genug, dass sie ihren geliebten Mann verloren hatte – es war zudem der Auftakt zu einer Reihe von Katastrophen gewesen, an deren Ende sie ihre Weberei hatte aufgeben müssen. Danach war Fygen in tiefe Traurigkeit und Mutlosigkeit versunken, denn sie hatte ihr Handwerk geliebt und sich nicht vorstellen können, je etwas anderes zu tun.
    Doch dann hatte Hans Hinderofen, Hauptbuchhalter der Ravensburger Handelsgesellschaft, sie gebeten, Peters Amt als Faktor der Oberdeutschen in Köln fortzuführen.
    Fygen hatte ihre Lektion gründlich gelernt. Wenn sich eine Tür schloss, so öffnete sich eine andere. Und heute betrieb sie ihre Faktorei mit der gleichen Leidenschaft, mit der sie sich einst der Bereitung von Seidenstoffen gewidmet hatte.
    Stephan Ime Hofe deutete ihr Seufzen falsch. Er schüttelte den dunklen Schopf und presste die Lippen aufeinander. »Ich verstehe das nicht! Es ist gerade so, als ob es da unten in Aragonien jemand auf uns abgesehen hat!«
    Fygen blickte ihrem Lehrling in das hübsche Gesicht. Der uneheliche Sohn von Mertyn war erwachsen geworden. Sein Anblick erinnerte sie an den Tag, an dem Katryn ihr voller Verzweiflung geklagt hatte, ihr Gatte hätte eines ihrer Lehrmädchen geschwängert. Die Freundin hätte damals nichts lieber getan, als die unkeusche Dirne mitsamt ihrem Balg vor die Tür zu setzen, und nur Fygens unermüdlichem Zureden war es zu verdanken, dass Katryn das Kind an Sohnes statt angenommen hatte.
    Das Weitere hatte der liebenswerte Knabe selbst erledigt. Mit seinen strahlenden, dunklen Augen und dem schalkhaften Lächeln hatte er bald das Herz seiner Stiefmutter erobert, und dass er äußerlich nach seinem Vater geriet und damit seinem Halbbruder, der auch den Namen Mertyn trug, glich, hatte Katryn schnell seine Herkunft vergessen lassen. Zudem war Stephan fröhlicher und umgänglicher als sein ernsthafterer Bruder, mit dem er sich nicht sehr gut verstand.
    Fygen vermutete, dass Stephan seinem Bruder insgeheim dessen
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