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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin
Autoren: Ursula Niehaus
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eheliche Geburt neidete, obschon jener Stephan seine Illegitimität nie hatte spüren lassen. Und so war es wohl das Beste gewesen, dass Stephan sein Elternhaus verlassen hatte und zu ihr in die Wolkenburg gezogen war, damit er das Kaufmannshandwerk erlerne.
    Fygen hatte diese Entscheidung nicht bereut. Stephan war zwar erst seit einem guten halben Jahr bei ihr, doch Fygen konnte sich keinen fleißigeren und verständigeren Gehilfen wünschen. Es war nicht seine Schuld, dass er seiner Dienstherrin die betrübliche Mitteilung hatte machen müssen, dass die Rohseide aus Valencia, die soeben via Antwerpen in Köln eingetroffen war, durchweg feucht war und nicht dem Anspruch an Kaufmannsgut gerecht wurde.
    Stephan wusste, wie dringlich Fygen auf ebendiese Lieferung gewartet hatte, und als die Nachricht von ihrem Eintreffen kam, war er sogleich in das Kaufhaus auf dem Malzbüchel geeilt. Von außerhalb eingeführte Seide musste dort zunächst zur Erhebung der Akzise auf der städtischen Krautwaage gewogen und der Zoll von einem Denar auf einhundert entrichtet werden. Erst nachdem er die Akzise bezahlt hatte, hatte Stephan in Gegenwart des städtischen Zinsmeisters die Packen öffnen dürfen.
    Beinahe entschuldigend hob er die breiten Schultern, als er eine Handvoll der ungesponnenen Seidenstränge, die er als Probe aus dem Lagerhaus mitgebracht hatte, auf Fygens Pult legte. Die weißliche Rohseide war von Schimmel grün überhaucht, und ein fauliger Geruch stieg von ihr auf.
    Fygen rümpfte die Nase. Es bedurfte nicht der Erfahrung von Jahren, die Fygen im Umgang mit Seide besaß – schließlich war sie eine der erfolgreichsten Seidenweberinnen der Stadt gewesen und hatte erst vor Jahresfrist ihren Betrieb ihrer Tochter Lisbeth übergeben –, um zu erkennen, dass diese Seide schlicht unverkäuflich war.
    Dennoch nahm sie eine der feuchten Strähnen, drehte sie zwischen den Fingern und hielt sie gegen das schwindende Licht, das durch ein Fenster zum Hof in ihr Kontor drang. Vom Grunde her war die Qualität der Seide gut. Sehr gut sogar.
    Üblicherweise bezog man in Köln Seide aus Venedig, die aus der Levante und den Mittelmeerländern stammte, jedoch nach ihrem Verschiffungsort Venezianische Seide genannt wurde. Sie erreichte Köln entweder auf dem Landweg über Frankfurt und dann zu Schiff den Rhein hinab, oder sie wurde auf Galeeren verladen, welche die flandrischen Häfen anliefen, und von Antwerpen oder Brügge aus mit Fuhrwerken in die Stadt gebracht.
    Als die beste galt Talayer-Seide, benannt nach der Landschaft Talisch an der Westküste des Kaspischen Meeres. Kaum geringer war die Qualität der Seide, die in Messina auf Sizilien gewonnen wurde.
    Kurz nach Beginn von Fygens Tätigkeit als Faktor für die Große Ravensburger Handelsgesellschaft war in der Wolkenburg ein Schreiben eingetroffen, in dem Hinderofen ihr – auf Ravensburger Papier mit dem Ochsenkopf als Wasserzeichen – den Vorschlag unterbreitet hatte, einen Versuch mit Seide aus Valencia zu machen. Dem Vernehmen nach wäre diese von ganz besonderer Qualität.
    Bisher war sie in Köln nicht erhältlich, und Fygen hatte sogleich erkannt, welche Gewinne sich gerade hier, in der Stadt mit dem bedeutendsten Seidengewerbe in deutschen Landen, mit dieser ausgezeichneten Seide erzielen ließen.
    Und es stimmte! Seide dieser Qualität würde man ihr aus den Händen reißen. Wenn sie denn trocken wäre, grollte Fygen innerlich und unterdrückte einen weiteren Fluch.
    Dies war nun schon die dritte Lieferung aus Valencia, die nicht den gewünschten Erfolg zeitigte!
    Die Seide der ersten Lieferung, die Köln erreichte, war gerade einmal von mittlerer Qualität gewesen. Fygen hatte sie den kölnischen Seidenweberinnen nicht als Seide aus Valencia präsentieren mögen, damit der gute Ruf, in dem diese stand, keinen Schaden nahm, und sie stattdessen auf dem Bamasmarkt in Antwerpen unter Preis losgeschlagen. Denn sie glaubte fest daran, dass es sich hier um einen Fehler handeln müsse und man ihr falsche Ware gesendet habe.
    In einem Brief an den Gelieger, die Hauptniederlassung der Gesellschaft in Valencia, hatte Fygen diesen höflich, aber bestimmt angemahnt. Sicher läge eine Verwechslung vor. Man möge ihr doch bitte das Gewünschte senden: Seide aus Valencia.
    Die zweite Lieferung – zu Fygens Verärgerung von gleicher Qualität wie die vorherige – begleitete ein Schreiben des Inhaltes, dass es sich, wie schon in der ersten Sendung, um »Seda de la
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