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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin
Autoren: Ursula Niehaus
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Rudolf vor ihr das Knie gebeugt. »Getreulich möchte ich dir heute Herz und Hand antragen. Von Geld und Vermögen will ich dir nicht sprechen. Du weißt, ich bin nur ein bescheidener Wirt, und der einzige Schatz, den ich dir zu bieten habe, ist meine Liebe und Treue. Willigst du diesmal ein, mein Weib zu werden?«, fragte er feierlich und wirkte so würdevoll, wie es ein kniender Mann eben vermochte.
    Sein Weib! Unfähig zu einer Entgegnung, blickte Fygen auf Rudolfs braunen Haarschopf hinab, den inzwischen erste Silberfäden durchzogen. Sein Antrag war für sie gänzlich überraschend gekommen. Nie hatte sie in Erwägung gezogen, sich neu zu vermählen. Ja, sie konnte sich gar nicht vorstellen, je wieder für einen Mann das zu empfinden, was sie für Peter empfunden hatte. Mit seinem Tod war etwas in ihr für immer gegangen.
    Rudolf spürte Fygens Zögern, und es schien, als hätte er auch ihre Gedanken gelesen. »Auch wenn du mich nicht so liebst, wie du Peter geliebt hast, so soll es mir genügen, wenn ich nur mit dir zusammen sein darf. Ich werde dir immer ein guter Ehemann sein, das verspreche ich dir …« Beinahe flehentlich klangen seine Worte, und Fygen gab es einen Stich, als sie sah, mit welcher Hoffnung er sie anblickte. Die Liebe und Treue eines so guten und aufrichtigen Mannes war mehr, als sich die meisten Frauen vom Ehestand erhoffen konnten.
    Rudolf war Fygen der beste und treueste Freund. Er stand ihrem Herzen so nahe wie nur wenige, und sie liebte ihn. Doch es war die Liebe, die eine Schwester für den Bruder empfand. Sie würde Rudolf nie so lieben können, wie er es verdient hätte – es wäre nicht aufrichtig, ihn zu heiraten.
    Leicht berührte Fygen ihn an der Schulter und schüttelte den Kopf. Es fiel ihr schwer, ihm zu antworten, denn sie wusste, wie weh sie ihm damit tat. »Nein, Rudolf«, sagte sie leise, »ich kann dich nicht heiraten. Lass es zwischen uns, wie es ist.« In dem Moment, als Fygen die Worte aussprach, war ihr, als löste sich in ihrem Innern ein Knoten. Als hätte es dieses Anstoßes bedurft, wusste sie plötzlich in aller Klarheit, was sie zu tun hatte. »Ich fahre nach Valencia.« Wie selbstverständlich kamen ihr die Worte über die Lippen, so als wären sie schon die ganze Zeit über dort gewesen, als hätte ihre Zunge sie nur noch aussprechen müssen.
    Für einen Moment blieb Rudolfs Gesicht unbewegt. Dann weiteten sich seine Augen ungläubig, und das Weiße darin erschien Fygen unnatürlich groß. Rudolfs Mund öffnete sich wie zu einer Entgegnung, doch dann, ohne dass er vermocht hätte, ein Wort hervorzubringen, presste er die Lippen zu einem Strich zusammen. Er senkte den Kopf, seine Schultern krümmten sich, und er schien zu erstarren.
    Das Mitgefühl mit dem Freund machte Fygen die Kehle eng. Sie spürte seinen Schmerz so scharfkantig, als wäre er ihr eigener, doch sie wusste um die Richtigkeit ihrer Entscheidung.
    Einen unendlichen Moment lang währte Rudolfs Starre. Dann endlich erhob er sich mit hölzerner Beherrschtheit, klopfte den Staub von den Knien, wandte sich ab und schritt mit der unbewussten Sicherheit eines Schlafwandelnden dem Haus zu.
    Lisbeth strich sich erschöpft eine dunkle Locke zurück unter den zarten Taft ihrer Haube. Wenn es nach ihr ginge, so wäre sie bereits vor Stunden zu Bett gegangen, anstatt auf das neue Jahr zu warten. Es würde auch beginnen, wenn sie dabei schlief. Die Werkstatt verlangte ihr derzeit viel ab, denn bis zur Fastenmesse in Frankfurt war es nicht mehr allzu weit. Verstohlen hielt Lisbeth die Hand vor den Mund und unterdrückte ein Gähnen, als ihre Schwiegermutter zu ihr trat.
    »Lisbeth Ime Hofe …«, hob Katryn an und blickte ihr in die braunen Augen.
    Lisbeth legte abwartend den Kopf schief und krauste die flache Spitze ihrer Stupsnase, die ihrem anziehenden Gesicht mit den hohen Wangenknochen einen etwas spitzbübischen Ausdruck verlieh. Es war ungewöhnlich, dass Mertyns Mutter sie so förmlich ansprach.
    »Ich habe dich beobachtet und mir genau angesehen, wie du deinen Betrieb führst«, sagte Katryn ernsthaft. »Du hast dir inzwischen einen sehr guten Ruf als Seidmacherin erarbeitet, und deine Gewebe sind stets von guter Qualität.«
    »Danke, Mutter«, sagte Lisbeth erfreut. Das Lob zauberte eine verlegene Röte auf ihre Wangen.
    »Darüber hinaus ist es dir gelungen, alle Kunden deiner Mutter zu behalten, nachdem du ihren Betrieb übernommen hast«, fuhr Katryn fort. »Eine ganz außerordentliche
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