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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin
Autoren: Federica de Cesco
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vor kaltem Schweiß, klebten an meinem Rücken. Kunsang bewegte sich mühsam, richtete sich auf. Ihre Hände waren verschrammt, ihre rechte Wange aufgeschürft. Ein Krachen, das den Boden erschütterte, setzte für Sekunden dem mechanischen Tanz der Maschinengewehre ein Ende.
    Splitter prasselten, gefolgt von Stimmgewirr und Schreien. Eine Granate, dachte ich. Ich packte Kunsangs Hand, rannte auf das Boot zu, das nahe beim Ufer wartete. Konchok streckte beide Arme aus, hob Kunsang ins Boot. Ich kletterte hinter ihr hinein. Die Beine gaben unter mir nach. Halb sitzend, halb kniend, klammerte ich mich mit beiden Händen am Bordrand fest.
    Die Schläge meines Herzens lähmten mich, der Lärm um mich herum verursachte in mir eine Art Leere. Wieder brach das Feuer der Maschinengewehre los. Ich preßte die Zähne zusammen. Wo war Atan? Ich sah nur die Schatten der Büsche unter weißflimmernden Rauchwolken. Da – wieder das krachende Getöse. Eine zweite Granate. Schrilles Brüllen drang durch das Prasseln der Gewehre. Im wirren Spiel von Hell und Dunkel sah ich Atans Gestalt plötzlich neben dem Hochspannungsmast. Eben stand er noch da – und in der nächsten Sekunde war er schon auf der Höhe des Kammes, das heißt, nicht genau auf der Höhe, sondern knapp darunter. Er ließ sich geduckt und schnell über die Steine gleiten, als eine neue Salve die Luft zerriß. Atan schien für einen kurzen Augenblick aus dem Gleichgewicht gebracht. Er rutschte die letzten Meter ab, fiel auf alle Viere, als versagten seine Knie den Dienst, kam wieder auf die Beine und landete mit einem schwerfälligen Sprung im Boot.
    »Bist du verletzt?« stieß ich hervor.
    »Nicht schlimm!« keuchte er. »Los!«
    Konchok bewegte das Ruder, trug das Boot auf die andere Flußseite, in den Schatten der Sträucher. Atan lud seine Pistole. Er wischte sich die blutbefleckten Finger am Fellmantel ab, schraubte den Schalldämpfer von seiner Pistole und zischte:
    »Hinlegen!«
    Ich warf mich auf den Bauch, legte einen Arm um Kunsang und lauschte auf mein Herzklopfen. Die Wachen – etwa zehn an der Zahl
    – erschienen fast alle gleichzeitig oben auf der Klippe. Einer zündete ein großes Fackellicht an, mit dem er das Wasser absuchte. Atan stützte sich auf den Ellbogen, zielte sehr sorgfältig über den Bootsrand und schoß. Aus dieser Nähe und ohne den Schalldämpfer 457
    ließ uns der Knall zusammenfahren. Das Fackellicht erlosch.
    Abermals brüllte der Lautsprecher durch die Nacht. In einer langen Linie floß der Tsangpo an dem Kraftwerk vorbei; dann wendete er seinen Lauf und entfernte sich von dem Sperrgelände. Atan füllte das Magazin und hob die Pistole. Wieder flammte Licht auf. Wieder ein Knall. Das Licht erlosch, blendete erneut. Atan zielte, drückte ab.
    Das Licht flackerte schwächer. Durch den Tumult von Rufen und Schreien drang das lange Trommelfeuer der Maschinengewehre. Ein Kugelregen fegte über das Boot. Es nahm und nahm kein Ende. Ich fühlte, wie Kunsang neben mir am ganzen Körper zitterte. Auf einmal durchfuhr ein schweres Beben das Boot. Konchok, über das Ruder geduckt, stieß atemlos ein Schimpfwort aus. An zwei Stellen hatten Kugeln die Yakhäute durchlöchert. Wasser strömte in das schwankende Boot. Schon knatterte der nächste Kugelregen dicht über die Wasserfläche. Die »Ghawa« drehte sich um ihre Achse, stieß gegen eine Sandbank. Kunsang richtete sich verstört auf, klammerte sich am Bootsrand fest. Atan schnellte hoch, packte sie und riß sie herunter. Wieder knatterte Maschinenfeuer. Atan zuckte ein wenig zusammen, riß die Hand halb zum Kopf hoch und warf sich quer über Kunsang.
    »Atan! « schrie ich. »Atan! «
    Mir brach kalter Schweiß aus. Entsetzen schüttelte meinen Körper, daß ich fast toll wurde. Doch da bewegte sich Atan, legte beide Handflächen flach auf den nassen Boden und stemmte sich hoch.
    Sein langes Haar fiel ihm über die Stirn. Er wischte sich das Blut aus den Augen, tastete nach seiner Pistole. Ich hörte, wie er gepreßt atmete. Seine Augen schweiften umher, sein Gesicht war lehmfarben unter dem Blut. Offenbar hatte die Kugel seinen Schädel über dem Haaransatz nur gestreift. Ich schluchzte vor Erleichterung auf. Mein Herz klopfte, daß es weh tat. Kunsang wimmerte entsetzt vor sich hin. Ich drückte sie fest an mich.
    »Bleib ruhig…« flüsterte ich. »Es wird schon alles gut werden… «
    Eine letzte Salve fegte über uns hinweg; doch wir hatten die Stelle erreicht, wo der Fluß einen
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