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Die Teilung des Paradieses

Die Teilung des Paradieses

Titel: Die Teilung des Paradieses
Autoren: Michael Heidenreich
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Hand neben ihm her. Es waren Ferien und das Wetter war schön.
    Die seltsamen Fahrzeuge hinter dem Zaun waren verschwunden. Es war still, so wie es früher immer war. Und doch hatte sich etwas verändert. Sie hatte es zuerst in ihrer kindlichen Vorfreude nicht bemerkt. Hinter dem Zaun regte sich etwas. Ein schwarzer Schatten. Als sie näher kamen, sah sie einen großen, schwarzen Hund. Er fing sofort laut zu bellen an und rannte am Zaun auf und ab. Dabei zog er an einer Kette eine Rolle hinter sich her, die auf einem langen Drahtseil immer hinter ihm her surrte. Der Hund war zwischen den zwei Zäunen eingesperrt und konnte nur soweit vor und zurück, wie die Kette ihn ließ. Und nach links und rechts. Dabei folgte ihm stets die Rolle auf dem Seil wie ein Schlitten. Es machte ein zischendes, scharfes Geräusch wenn der Hund schnell am Zaun entlang lief.
    Sie kannte in Großvaters Dorf viele Hunde. Fast jeder hatte einen. Aber dieser hier war anders. Während die Hunde im Dorf auch laut bellend an den Gartenzaun gelaufen kamen, hörten sie damit auf, sobald jemand mit ihnen redete. Sie blieben dann schwanzwedelnd stehen und trabten bald wieder über den Rasen zurück in den Schatten oder ins Haus.
    Der schwarze Hund hier bellte laut und anhaltend mit angelegten Ohren, weit aufgerissenen Augen und gebleckten Zähnen. Er stand mit leicht gespreizten Vorderläufen da, mit waagerechtem, unbeweglichen Schwanz  und bellte ohne Unterbrechung. Lief man weiter, lief auch er bellend mit. Sie hielt sich die Ohren zu, weil ihr das laute Bellen Angst machte. Der Großvater versuchte auf den Hund einzureden, ihn zu beruhigen. Er sagte:
    „Na was ist denn? Ruhig, ruhig...Was hast du denn? Bist doch ein braver Junge...“
    Aber der schwarze Hund bellte drohend und ohne Pause.
    Nach einigen Metern trafen sie wieder die Beamten des Bundesgrenzschutzes.
    Der Großvater sprach sie an:
    „Was haben sich denn diese Mistkerle jetzt wieder für einen Unfug ausgedacht? Dürfen die das denn? Das ist doch Tierquälerei!“
    Die Beamten zuckten mit den Schultern.
    „Wahrscheinlich war denen die Stelle hier zu unübersichtlich. Schwer zu überwachen. Da überlässt man das den armen Kreaturen. Der neue Abschnitt geht vom Hochwald bis über den Berg. Fast drei Kilometer Freilaufanlage. Gehen Sie bloß nicht näher ran! Die Viecher sind echt bissig!“
    Sie verstand den Sinn des Gespräches damals nicht. Wer quält denn den Hund? Es war doch niemand da? Und wer ist eine arme Kreatur? Und was ist das überhaupt, eine Freilaufanlage?
    Sie wollte den Großvater fragen, aber der Hund bellte so laut, dass sie sich nicht traute, die Hände von den Ohren zu nehmen. Wie durch Watte hörte sie das Gespräch der drei Männer. Sie schaute hinüber zu dem Hund. Er stand da und bellte. Es war ein heiseres, böses Bellen. Sie hatte Angst.
    Und doch war da etwas in ihr, was von der Angst noch nicht Besitz ergriffen hatte. Der schwarze Hund tat ihr leid. Er machte ihr Angst und tat ihr gleichzeitig leid. Sie sah die weitaufgerissenen Augen des Hundes, die angelegten Ohren und die gebleckten Zähne. Und plötzlich spürte sie, dass auch der Hund Angst hatte. Er bellte aus Angst. Sie war ganz sicher, dass der schwarze Hund nicht böse war. Er war unsicher und ängstlich. Sie sah nur noch die Augen des Hundes. Sie hörte nicht mehr das grollende Bellen und sie sah nicht mehr die drohenden Zähne.
    Sie erinnerte sich an die Sommerferien vor einigen Jahren. Sie hatte sich mit einem Jungen in ihrem Alter angefreundet, der auf einem Bauernhof lebte. Er hieß Tim. Es war noch ein typischer Bauernhof mit Misthaufen auf dem Hof und freilaufenden, gackernden Hühnern. Und es gab auch einen Hofhund, der fast so groß war wie dieser hier. Der Bauer, der Vater des Jungen, hatte ihnen verboten in seine Nähe zu kommen. Taten sie es, fing auch er sofort zu bellen an, mit drohend aufgestelltem Nackenfell und angelegten Ohren. Auch dieser Hund tat ihr aus tiefstem Herzen leid. Und auch dieser Hund lag, wie es damals üblich war, an einer Kette die etwa zwei Meter lang war. An dieser Kette lebte der Hund tagaus tagein. Genau wie der Hund hier hinter dem Zaun.
    An einem Nachmittag, Tim’s Vater war nicht zu Hause, spielten die beiden Kinder wieder auf dem Hof. Der Hofhund lag in der Sonne vor seiner Hütte und döste.
    Plötzlich flüsterte Tim ihr zu:
    „Komm, ich zeig dir mal was.“
    Sie war neugierig und ging mit Tim. Der ging auf den Hofhund zu. Als der Tim auf sich
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