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Die Teilung des Paradieses

Die Teilung des Paradieses

Titel: Die Teilung des Paradieses
Autoren: Michael Heidenreich
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    Die Teilung des Paradieses
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Francoire schloss wie jeden Abend die Tür des kleinen Salons „Petit Coiffeur“ von Madame Gremont ab. Wie jeden Abend ließ er das Stahlgitter gleichmäßig scheppernd hinunterrasseln. Es hallte laut durch die menschenleere, düstere Strasse.
    Er tat das - auch wie jeden Abend -  lustlos und mechanisch, denn im Grunde fand er dieses allabendliche Zeremoniell höchst überflüssig, sogar lächerlich. Niemand könnte sich zu nächtlicher Stunde unbemerkt an der Tür zu schaffen machen. Francoire arbeitete im vermutlich bestgesichertsten Frisiersalon der Welt. Rund um die Uhr beobachtet und gut beleuchtet von der anderen Straßenseite her. Keine Chance für Einbrecher.
    Aber Madame Gremont bestand darauf. Auch, um eine gewisse Normalität zu erhalten, wie sie stets betonte. Normalität! Francoire lachte bitter auf. Normalität! Normal! Was war hier noch normal?
    Früher war die Rue d’ Amsterdam eine belebte Straße zwischen Place de la Concorde und Cimetière de Montmartre, dem Montmartre Friedhof.
    Die Rue d’ Amsterdam! Kleine, edle Boutiquen, gemütliche Bars, teure Büroapartments und schicke Restaurants. Ein eigenes, charmantes Gesicht aus Trubel und Gemütlichkeit, Lärm und Stille, Trägheit und Hektik. Touristenströme  Richtung Montmartre Hügel und in die andere Richtung, zum Zentrum. Zu jeder Jahreszeit und rund um die Uhr. Knatternde Mofas und Roller von früh bis spät. An den Straßenrändern die Autos Stoßstange an Stoßstange.
    Gegenüber die Bar von Pascale, in der Francoire gern nach Feierabend noch auf ein Glas Pastis oder Cidre absackte, bevor er zur Metro ging und nach Hause fuhr.
    Die Rue d’ Amsterdam! Die Straße lebte, das Leben pulsierte und man konnte den heißen Atem der Millionenstadt an jeder Ecke spüren. Paris lebte. Und wie.
    Heute brauchte Francoire nur zur anderen Straßenseite hinüber sehen und schon war es mit der Normalität, die sich Madame Gremont so sehr wünschte, vorbei. Blankes Entsetzen spiegelte sich dabei immer noch jedes Mal auf seinem Gesicht. Entsetzen, Trauer und Wut.
    Pascale’s Bar gab es nicht mehr. Das ganze Haus war verschwunden. In der Lücke, die es hinterlassen hatte, stand hell erleuchtet ein plumpes Bauwerk aus Beton, das aussah wie der Rohbau eines Fahrstuhlschachtes,  mit einer Glaskanzel und Scheinwerfern auf dem Dach. Wie ein Pfahl in einer offenen Wunde.
    Die Häuser links und rechts davon starrten mit leerem Blick aus tiefen, schwarzen Fensterhöhlen. Einige waren mit Sperrholz vernagelt. Die schmiedeeisernen Gitter davor ließen noch den Glanz vergangener Tage erahnen. Die typischen, fünfgeschossigen Bauten ragten düster über das unansehnliche, schreckliche Ungetüm, das nun schon seit mehr als acht Jahren, genau auf der Kante des gegenüberliegenden Trottoires errichtet, die Sicht auf die untere Etage der einstigen Prachthäuser versperrte.
    Die Mauer von Paris.
    Oder die Pariser Mauer, the Wall of Paris , der  Schutzwall, die nationale Schande, die notwendige Grenze, die Grenzbarriere. Viele Namen hatte man für diese Hässlichkeit erfunden, aber ganz egal wie man das nennen mochte, die Flut der Bezeichnungen konnte weder den Anblick erträglicher machen, noch die Ohnmacht, die Wut und die Hilflosigkeit der Pariser beschreiben. Und sie konnten auch nicht das Leben vor dem Bau des verhängnisvollen, grauen Betonwurms, der nun wie ein Geschwür unaufhaltsam durch die Pariser Innenstadt wucherte, zurückholen. Ein grauer Betonwurm, auf seinem Rücken ein Geflecht aus Stacheldraht, beobachtet von unsichtbaren Augen hinter dem getöntem Glas der Türme, die alle hundert Meter wie ein steinerner Pilz über die Barriere ragten und das hässliche Monstrum bewachten.
    Wie die meisten Bewohner dieser Stadt konnte und wollte Francoire sich nicht mit dieser absurden Scheußlichkeit mitten in der Stadt abfinden. Mit dem Betonwurm, der sich durch die Stadt hindurchfraß und diese in zwei Hälften teilte.
    Eines abends, es war schon dunkel , hob er einen Stein auf und warf ihn mit einem wütenden Schrei in Richtung Wachturm über die Mauer. Es passierte nichts.
    Möglicherweise wurde der Steinwurf „drüben“ gar nicht bemerkt, aber es ging Francoire anschließend besser. Er hatte seiner Wut freien Lauf gelassen, sich gegen einen übermächtigen,
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