Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Teilung des Paradieses

Die Teilung des Paradieses

Titel: Die Teilung des Paradieses
Autoren: Michael Heidenreich
Vom Netzwerk:
ich war wie gelähmt, als ich aufgewacht bin. Ich träumte, dass quer durch unsere Stadt eine Mauer gebaut wurde. Buchstäblich über Nacht. Der Ostteil und der Westteil von Paris wurden durch eine Mauer getrennt! Können Sie sich das vorstellen? Die Grenze verlief mitten durch die Stadt und man konnte nicht mehr von West nach Ost. Und auch nicht umgekehrt. Man konnte die andere Seite sehen, aber nicht hingelangen. Hier, direkt vor dem Salon, auf der anderen Straßenseite verlief eine Mauer.“
    Madame Lessault zog das Handtuch vom Kopf und sah Francoire fassungslos an.
    „Monsieur! Ich bitte Sie! Wie kommen Sie denn auf derartig absurde Gedanken? Eine Mauer! Hier! Mitten in der Stadt! Wir sind doch ein zivilisiertes Volk! Wie sollte irgendjemandem einfallen eine Stadt mittendurch zu teilen? Und  wie soll so etwas denn gehen? Und wozu?“
    Francoire sah in das verständnislos starrende Gesicht von Madame Lessault. Im Salon war es jetzt ganz still geworden. Alle sahen Francoire verblüfft an. Auch Madame Gremont. Selbst die dünne Kiki kicherte nicht und staunte mit offenem Mund herüber.
    „Ja, da haben sie vermutlich recht. Das ist ganz und gar absurd. Und Gott sei Dank war es nur ein Traum. Eine Stadt kann man gar nicht teilen. Und schon gar nicht Paris.
    Merkwürdig war nur: Es fühlte sich so echt an. So, als wäre es doch wahr. Als wäre es schon mal da gewesen.“
    Madame Lessault griff nach einer Zeitschrift und lächelte Francoire im Spiegel an. Dabei drohte sie ihm scherzhaft mit dem Zeigefinger.
    „Eine Mauer! In Paris! Tss, tss....Monsieur, mit Ihrer Phantasie werden sie es noch weit bringen:“
    Francoire lächelte unsicher zurück. Dann schaltete er den Haarfön ein und mit dem warmen Luftstrahl blies er die nachttrüben Gedanken davon.
    Ein für alle mal.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Mauerhunde
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Sie ging den steilen Waldweg wohl zum hundertsten Mal und doch kam ihr fast nichts bekannt vor. Natürlich war es genau der gleiche Weg wie noch vor Jahren und natürlich war ihr auf der Fahrt hierher klar gewesen, dass sich einiges verändert hatte. Aber das hatte sie nicht erwartet. Mag sein, dass es an der Jahreszeit lag. Jetzt im Frühsommer wucherte alles besonders intensiv. Die wilden Vogelbeerbäume und die Rauschbeeren bildeten mit jungen Erlen und Haselsträuchern stellenweise ein undurchdringliches Dickicht. Die Fichten hatten Mühe sich ihren Weg zum Licht erfolgreich zu bahnen. Die Buchenkeimlinge der letzten Jahre formierten sich zu einer dichten Hecke. Viele der markanten Felsen und Wegbiegungen waren im Laufe der Jahre schlicht von Farn überwuchert.
    Nur der Weg hatte noch die gleiche Form, wenn er ihr auch sehr viel schmaler vorkam, als noch vor Jahren.
    Vom Dorf aus war sie erst an der Wiese entlang, dann dem Waldrand folgend leicht bergab gegangen und schließlich machte der Weg einen Linksknick und es ging steil bergan in den von Felsen durchzogenen Hochwald.  Hier war es auch früher schon zu jeder Jahreszeit sehr dunkel gewesen. Sie erinnerte sich, dass sie mit ihrem Großvater an manchem Wochenende hier lang spaziert ist. Eigentlich immer wenn sie hier war. So lange sie denken konnte schon. Und sie konnte noch seine Stimme hören, wenn er jedes Mal sagte:
    „Die sollen bloß nicht denken, dass sie uns Angst einjagen können. Wir lassen uns unsere Gewohnheiten nicht nehmen.“ Und dann fielen noch Worte wie „Kommunisten“ und „Landesverräter“, die sie damals noch nicht verstand.
    Jetzt im Hochwald konnte sie sich auch wieder an den knorrigen Wurzeln und den hundertjährigen Fichten orientieren. Da vorn war der Zwillingsfelsen, die sie das doppelte Lottchen getauft hatte, weil sie seit eh und je da ausharrten und sich glichen wie ein Ei dem anderen. Und nach der nächsten Biegung plätscherte ein kleines Rinnsal über den felsigen Untergrund. Es hüpfte über die Steine bis unten  zum Waldrand, wo es in dem Bach aufging, den man immer hören konnte, aber selten sah.
    Als Kind durfte sie nie bis dahin gehen. Es war ihr aufs strengste verboten worden. Dabei wollte sie so gern einmal sehen, wo genau die Stelle ist, an der das winzige Bächlein in den rauschenden Bach des Waldrandes sprudelte.
    Aber der Großvater hatten schon der Vierjährigen beigebracht, dass dort ihre heile
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher