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Ich bin ein Mörder

Ich bin ein Mörder

Titel: Ich bin ein Mörder
Autoren: Brigitte Pons
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Samstag, 13. Oktober
     
    »Ich bin ein Mörder. Das gebe ich offen zu. Sie sind schockiert. Weshalb? Weil ich ein Mörder bin oder weil ich darüber spreche? Sicher Letzteres. Es gibt viele Mörder auf dieser Welt. Sie verstecken sich. Sie morden heimlich. Aus Kalkül. Aus Leidenschaft. Aus Geldgier. Aus Not. Aus Angst. Ich nicht. Ich morde, um des Mordens willen. Das verstehen Sie nicht? Lassen Sie es mich erklären. Ich bin kein Psychopath, ich muss nichts kompensieren, ich höre keine Stimmen, die mich zwingen, einen höheren Auftrag zu erfüllen. Ich empfinde keine Lust oder Genugtuung, wenn ich es tue. Ich empfinde einfach nichts. Gar nichts. Niemals. Vielleicht ist das der Grund. Es ist nicht nur Gefühlskälte, es ist weit mehr. Die Abwesenheit jeder Gefühlsregung. Obwohl – das ist schon wieder unpräzise. Es gibt etwas, das ich fühle: Stolz. Wenn mein Plan funktioniert und niemand meine Schliche ahnt. Freude geht vermutlich tiefer. Der Stolz sitzt an der Oberfläche. Wäre ich nicht der, der ich bin, würde ich sagen, ich liebe die Präzision, Perfektion und die Macht, andere zu lenken und zu beeinflussen. Aber so weit kann ich nicht gehen. Ich liebe nichts. Nicht einmal mich selbst. Obgleich ich nahe an die Perfektion heranreiche, die ich als Ideal ansehe. Näher als alle anderen lebenden Menschen.
    Sie finden das arrogant? Ja. Sie haben recht. Ich bin nicht nur der perfekteste Mensch und Mörder, ich bin auch der arroganteste Mensch und Mörder auf dieser erbärmlichen Erde. Doch eigentlich wollen Sie wissen, weshalb ich morde. Auch wenn Sie es nicht wissen wollen, will ich es Ihnen erzählen. Warum? Weil Sie als Nächster dran sind. Aber das ist Ihnen vermutlich klar, auch wenn es Ihnen ansonsten an Durchblick fehlt.
    Der Gedanke, zu töten, lässt sich zurückverfolgen bis ins Jahr 1986. Damals stand ich kurz vor dem Abitur. Ich war ein sehr guter Schüler. Meiner Deutschlehrerin ist es zu verdanken, dass mein weiteres Leben so verlaufen ist, wie es nun einmal ist. Sie fände das sicher nicht witzig, wenn sie es wüsste. Wir befassten uns mit dem literarischen Schaffen Friedrich Dürrenmatts. Ein begnadeter Mann. Während die anderen mehr oder weniger bestürzt seine Gedankengänge verfolgten, verschlang ich ›Der Richter und sein Henker‹ mit einem Bissen.
    Ein sinnloser Mord. Ein perfekter Mord. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Von diesem Tag an plante ich. Las Tag und Nacht Kriminalromane und entschlüsselte ihre Schwachstellen. Die Geschichten sind meistens dünn und oberflächlich oder auffällig konstruiert, vollgestopft mit extremen Ereignissen und unvorhersehbaren Wendungen. Die Täter dumm, dass es ein Jammer ist. Die Detektive zu gut, um wahr zu sein, oder solche Idioten, dass es zum Himmel stinkt. Ich fand nichts Neues, nichts Bahnbrechendes. Es beleidigte meinen Intellekt. Die Suche nach der perfekten Mordgeschichte und die Banalität der angebotenen Bücher brachten mich selbst zum Schreiben. Mir war klar, dass ich es besser konnte als die anderen.
    Arrogant, nicht wahr? Schon wieder. Aber es ist eben eine Tatsache. Genau wie die, dass ich ein Mörder bin. Wieso sollte ich es also verschweigen? Wahrhaftigkeit ist eine gern gesehene Tugend. Oder etwa doch nicht? Bevorzugt ein großer Anteil der Menschheit etwa die beschönigende Lüge? Ich bin mir sicher, dass es so ist.
    Sie müssen meine Fragen nicht beantworten. Sie sind rein rhetorisch. Außerdem tragen Sie einen Knebel im Mund, das macht Ihre Worte schwer verständlich. Lassen Sie es also einfach. Ich höre sowieso lieber mich reden als andere.
    Meine Bücher wurden zu Kassenschlagern. Erstaunlich, wenn man überlegt, welch hohen Anspruch ich an meine Leser habe. Doch die wenigsten merken das. Sie konsumieren, ohne zu verstehen. Was soll’s, meine Auflagen stiegen, ich erklomm schnell den Schriftstellerolymp. Keiner kann mir das Wasser reichen. Nun überlegen Sie: Was macht man, wenn man ganz oben ist?
    Man beginnt sich zu langweilen. So beschloss ich, meinen Erkenntnissen Taten folgen zu lassen. In Anlehnung an meinen Initiationsroman und als Hommage an Dürrenmatt, beging ich meinen ersten Mord. Ich stieß einen jungen Mann von einer Brücke. Einfach so, im Vorbeigehen. Ohne Grund. Ohne ihn zu kennen. Ohne Zögern. In einer dunklen Winternacht. Niemand sah mich. Wieso saß er auch auf dem Geländer? Vielleicht habe ich ihm sogar einen Gefallen getan. Er könnte ein Selbstmörder gewesen sein, der sich nicht entschließen
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