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Ich bin ein Mörder

Ich bin ein Mörder

Titel: Ich bin ein Mörder
Autoren: Brigitte Pons
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nachvollziehbar. Angestachelt durch Mischa, hatte Ozzy sich tiefer in Dürrenmatts Werke eingelesen. Im Gegensatz zu Stockmanns Aussage im Interview siegte dort durchaus das Böse. Und mehr als einmal wurde das Spiel mit der Wahrheit auf die Spitze getrieben. So, wie auch Stockmann es gemacht hatte. Kein Mord geht nachweislich auf sein Konto. Wieso befriedigte ihn diese Aussage nicht? Konnte es sein, dass Stockmann sein Ziel erreicht hatte? Ein perfekter Verbrecher hinterlässt keine Spuren. Stockmanns hinterhältiger Triumph war es, dass er alle mit der Nase auf die Verbrechen gestoßen hatte und dass nur er allein die Antwort kannte: schuldig oder nicht. Den Gedanken sprach Ozzy nicht aus. Es nützte niemandem, wenn Alexandra sich weiter mit ihren Zweifeln quälte.
    »Du weißt, dass du hierbleiben kannst, solange du willst. Du musst nicht zurück in deine Wohnung.«
    »Danke.« Schniefend presste sie ihr nasses Gesicht an seine Schulter.
    »Wann beginnen deine Therapiesitzungen?«
    »Posttraumatische Belastungsstörung«, nuschelte sie in sein Hemd. »Morgen.«
    Sam leckte ihr liebevoll über die Hand. Vermutlich schmeckte er Reste von Pizza an ihren Fingern.
    »Morgen.« Ozzys Stimme brummte leise neben ihrem Ohr. »Du weißt, dass Mischa morgen entlassen wird?«
    Sie nickte stumm und schniefte noch lauter.
    »Du warst nur ein einziges Mal bei ihm, direkt nachdem es passiert ist. Seitdem nicht mehr.«
    »Ich kann nicht.«
    »Er braucht ein paar Sachen aus seiner Wohnung, bevor er in die Reha-Klinik fährt. Er hat mich gebeten, sie zu holen.«
    Sie wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, starrte auf Quincy, der wild gestikulierend über den Bildschirm rannte.
    »Bring du ihm die Sachen, Alexandra. Sag wenigstens auf Wiedersehen.«
    Wortlos rollte sie sich zusammen, versteckte das Gesicht unter dem eingegipsten Arm. Ozzy streichelte ihren Nacken und lächelte. Sie hatte nicht nein gesagt.

Freitag, 16. November
     
    Draußen war es eiskalt. Alexandra schwitzte trotzdem. Sie musste in Mischas Wohnung gehen. Allein. Es fühlte sich merkwürdig an. Falsch. Sie öffnete seine Schränke, suchte seine Wäsche zusammen, nahm seine Post aus dem Briefkasten, stopfte alles in eine Sporttasche.
    Mit der U-Bahn fuhr sie zum Krankenhaus und rannte die Treppe hinauf. Erst als sie vor Mischa stand, wurde ihr klar, dass sie nicht angeklopft hatte. Ihre Unterlippe verschwand zwischen den Zähnen. Erstaunt schaute er sie an. Schweigend für einen Moment, fragend. Mit diesen verfluchten Augen, die sie an dunklen Honig erinnerten. Vor denen hatte sie sich die ganze Zeit gefürchtet.
    »Hallo Partner«, sagte er leise und erhob sich von der Bettkante.
    »Das ist vorbei, oder?«
    »Kommt drauf an, wie gut die Ärzte sind.«
    Mischa sah blass aus. Unsicher wippte er auf den Fußspitzen und wedelte mit einem Zettel in der Hand.
    »Das ist die Adresse der Klinik. Und die Telefonnummer, unter der du mich erreichen kannst. Wenn du willst.«
    Der Zettel schwebte zwischen ihnen in der Luft. In plötzlicher Wut knüllte sie das Blatt Papier zusammen, stopfte es in die Hosentasche.
    »Du musst los.«
    Mischa folgte ihr schweigend, den langen weißen Flur entlang, die breite Treppe hinunter. Ihre Schuhe quietschten einvernehmlich auf dem blanken Boden. Hinter ihnen schloss sich die automatische Tür mit schleifendem Geräusch. Die Reisetasche plumpste auf dem Gehweg neben Mischas Füße. Angestrengt spähte Alexandra die Straße hinunter.
    »Wird gleich da sein«, murmelte sie. Kalter Wind schnitt in ihre Haut. Warum zum Teufel war er nicht wütend? Warum machte er ihr keine Vorwürfe? Es gab so viel zu sagen. Aber er stand einfach neben ihr und wartete. Und summte. Die verletzte Schulter fest in einen Verband verschnürt. Ihre Schuld.
    Sie konnte nicht hinsehen. Sicher hatten sie seine Brust rasieren müssen vor der Operation. Er kratzte sich. Die Haare juckten beim Nachwachsen. Blonde Haare. Weiche, kurze, blonde Haare. Sie trat von einem Fuß auf den anderen.
    »Du musst nicht hierbleiben und mit mir warten.«
    Alexandra verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, was mit dem Gips weniger souverän gelang als ihr lieb war. Das konnte ihm so passen. Ihr einen Ausweg freizumachen. Auch noch verständnisvoll sein. Sie blinzelte. Unaufhaltsam stieg etwas in ihr auf, das sie nicht kontrollieren konnte.
    »Kommst du mich irgendwann besuchen?«
    »Darauf brauchst du nicht zu warten. Du lässt mich im Stich und willst nicht mehr mein
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