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Die Teilung des Paradieses

Die Teilung des Paradieses

Titel: Die Teilung des Paradieses
Autoren: Michael Heidenreich
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großzügig bunt gemischte, deutsch-deutsche Mannschaften gebildet. Gemeinsam bauten sie aus ihrem Kinderzimmer eine Ritterburg. Fochten bis die Deckenlampe splitterte. Sie warfen alle Matratzen und Decken die sie in der Wohnung finden konnten mitten im Kinderzimmer auf einen Berg und übten Fallschirmspringen vom Ofen aus. Gemeinsam rauchten sie heimlich in der Küche, wurden gemeinsam erwischt und gemeinsam verdroschen. Manchmal mit den Holzschwertern, die sie gemeinsam gebastelt hatten.
    Er musste heute jedes mal lächeln, wenn er daran dachte. Sie waren mit Abstand betrachtet sicher keine Engel gewesen. Sie hatten jede Menge Unsinn im Kopf. Sie waren ganz normale Jungen und hielten zusammen wie Pech und Schwefel.
    Wann es zu bröckeln begann, wusste er schon gar nicht mehr.
    Und nun war er wieder da. Er fuhr durch die breite, mit alten Linden gesäumte Strasse. Die Fußwege waren schattig und die Häuser dahinter strahlten immer noch die wildromantische Gelassenheit aus, die er schon in den Kindertagen gemocht hatte. Besonders in solch heißen Sommern wie in diesem Jahr, wenn man sich vor der sengenden Sonne in den kühlen, leicht modrig riechenden Keller zurückziehen konnte, bis man zu frösteln begann, wieder nach draußen wollte und im halbschattigen, mit wilden Brombeerbüschen und Holunder überwucherten, verwilderten Garten die Wärme genoss, bis sie die Hitze wieder in den Keller trieb.
    Manchmal, wenn er in der Fremde ähnliche Häuser aus der Zeit des Jugendstils sah, tauchten schemenhaft und nicht wirklich greifbar, Bruchstücke des Gefühls auf, welches ihn als Kind befiel, sobald er auf den schmiedeeisernen Zaun des Gartens kletterte oder auf der Mauer saß, die den kleinen Innenhof umgab. Es war ein Gefühl von unbestimmter Geborgenheit. Von Vertrautheit. Von Schutz und Trost. Mag sein, dass die Formen der Fenster, die Bögen und Säulen, die Wölbungen in der Fassade und die strengen Linien dieses Gefühl speicherten und irgendetwas in seinem Kopf auslösten, wenn er sie sah. Er konnte es auch nicht beschreiben was es genau war. Er erkannte nur die Vertrautheit aus der Kindheit wieder, die ihn wehmütig oder glücklich machte. Je nachdem, ob sein Wunsch nach Rückkehr oder die Ablehnung seiner Vergangenheit gerade stärker war.
    Gern würde er noch einmal das Haus aus seiner Kindheit sehen, dass er so oft, wenn er die Augen schloss, sah. Zu gern würde er in dem kleinen Innenhof stehen, mit dem steinumfassten Rundbeet in der Mitte. Zu dem kleinen Waschhaus hinüber gehen, in dem sie als kleine Jungen immer Samstags in einem Holzzuber und später in einer Zinkbadewanne gebadet wurden, denn Badezimmer in der Wohnung gab es damals noch nicht. Zu gern möchte er noch einmal in dem Treppenhaus stehen, den Kopf in den Nacken gelegt und zu der endlos fernen Decke schauen, die von der eckigen Spirale der Holztreppe eingerahmt wurde. Die Decke, von der sich sogar das Muster des Wasserschadens tief in seinen Gedanken eingebrannt hatte. Er könnte heute noch die Umrisse des rostig braunen Fleckes aus dem Gedächtnis nachzeichnen.
    Andererseits hielten ihn die Angst vor  der vermutlich sehr bald einsetzenden Ernüchterung oder das Entsetzen über den heutigen Zustand oder einfach nur die drohende Zerstörung seiner Kindheitsträume davon ab, die Pfade einer längst vergangenen Zeit heute zu betreten.
    Er setzte den linken Blinker, wartete zwei Autos aus dem Gegenverkehr ab und  bog in die breite Strasse ein, die den Besucher schon wieder aus der kleinen Stadt führte. Aber er würde noch nicht wieder fahren. Er hatte noch eine wichtige Begegnung vor sich. Wenn es denn dazu kommen sollte.
    Erst nachdem er die breite Strasse nach einer schlängeligen Kurve wieder verlassen hatte, fiel ihm auf, warum sie ihm plötzlich so breit vorgekommen war.
    Die mächtigen Buchen gab es nicht mehr. Früher war die Strasse eine schattige, eher wie eine Chaussee anmutende Strasse. Heute erinnerte nichts mehr daran. Sonnendurchflutet und mit Asphalt verklebt bot sie einen nüchternen Anblick.
    Bäume waren heutzutage für moderne Städte ein Ärgernis. Ungemein lästig. Sie produzieren Laub, machen Dreck und die Wurzeln heben die Fußwege an. Gründe für eine Rodung finden sich immer und das Feigenblatt der Nachpflanzung, mit denen sich kommunale Verwaltungen gern bedecken und ihre Radikallösungen in der Öffentlichkeit rechtfertigen, ist eine Wette auf die weit entfernte Zukunft. Wen interessieren in dreißig Jahren  die
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