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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose
Autoren: Jennifer Donnelly
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ihm bei, wenn er’s tut, dann schreit der Mörder um Hilfe. Ganz zu schweigen von Fiona. Erinner dich, was mit dem Schläger Sid Malone passiert ist, als er versucht hat, sie in eine Gasse zu zerren. Sie hat ihm eins auf die Nase gegeben, daß sie gebrochen war. Und er ist zweimal so groß wie sie.«
    »Ja, aber …«
    »Da, Kate, da ist ein Artikel über Ben Tillet, den Gewerkschaftsmann, der die Männer in den Lagerhäusern organisiert. Hör dir das an …«
    Kate sah ihren Mann vorwurfsvoll an. Sie hätte ihm sagen können, daß Feuer auf dem Dach sei, und hätte die gleiche Antwort bekommen. Was immer auch in der Zeitung stand, sie wollte es nicht wissen. Gespräche über Gewerkschaften bedrückten sie, Gespräche über Streiks machten ihr angst. Mit einem Mann, vier Kindern und einem Untermieter, die es zu füttern galt, schaffte sie es kaum, die Woche zu überstehen. Wenn zum Streik aufgerufen wurde, müßten sie hungern. Und als wäre das nicht schon Sorge genug, lief jetzt auch noch ein Mörder frei herum. Whitechapel war schon immer eine gefährliche Gegend gewesen, eine gewalttätige Mischung aus Cockneys, Iren, Polen, Russen, Chinesen und einem Haufen anderer. Niemand war reich, die meisten mußten schwer arbeiten. Viele tranken. Es gab viel Kriminalität, aber zumeist nur Diebstähle. Gangster brachten sich manchmal gegenseitig um, oder ein Mann wurde bei einer Schlägerei getötet, aber niemand tat so etwas wie Frauen aufschlitzen.
    Während Paddy weiterlas, stand sie auf und wendete die Würstchen, die in einer dicken Soße aus Fleischsaft und Fett schwammen. Als sie anfing, die Kartoffeln zu zerstampfen, hörte sie die Haustür aufspringen und die leichten schnellen Schritte ihrer Tochter in der Diele.
    »Hallo, Ma. Hallo, Pa«, sagte Fiona fröhlich und legte ihren Wochenlohn abzüglich Sixpence in eine alte Teedose auf dem Kaminsims.
    »Hallo, Schatz«, antwortete Kate und sah von den Kartoffeln auf, um sie zu begrüßen.
    Paddy murmelte einen Gruß hinter seiner Zeitung.
    Fiona nahm eine Schürze vom Haken neben der Hintertür und warf einen Blick zu ihrer kleinen Schwester hinein, die in einem Korb neben dem Herd schlief, dann beugte sie sich zu ihrem vierjährigen Bruder Seamus hinunter, der auf einem Teppich mit Wäscheklammern Soldaten spielte, und gab ihm einen Kuß.
    »Komm, gib mir auch einen, Seamie.«
    Der kleine Junge mit dem dichten Schopf roter Haare drückte schalkhaft die Lippen an ihre Wange und gab ihr einen lauten, feuchten Schmatz.
    »O Seamie!« rief sie und wischte sich die Wange ab. »Das war aber nicht sehr nett! Wer hat dir denn das beigebracht?«
    »Charlie!«
    »Das kann ich mir vorstellen. Was gibt’s zu tun, Ma?«
    »Du kannst das Brot aufschneiden. Dann deckst du den Tisch, machst den Tee und bringst deinem Vater sein Bier.«
    Fiona machte sich an die Arbeit. »Was gibt’s Neues, Pa?«
    Paddy ließ die Zeitung sinken. »Die Gewerkschaft. Die Mitgliederzahlen steigen von Tag zu Tag. Es dauert nicht mehr lange, dann sind die Burschen aus Wapping auch dabei. Denk an meine Worte, vor Jahresende haben wir Streik. Die Gewerkschaften werden die Arbeiterklasse retten.«
    »Und wie werden sie das anstellen? Indem sie uns pro Stunde einen Extrapenny geben, damit wir langsam statt gleich auf der Stelle verhungern?«
    »Laß es gut sein, Fiona …«, warnte Kate.
    »Eine schöne Einstellung ist das. Füttert dich dieser Joe Bristow mit solchen Ideen? Die Straßenhändler sind doch alle gleich. Denken nur an sich. Scheren sich einen Dreck um den Rest ihrer Klasse.«
    »Joe braucht mich nicht mit Ideen zu füttern, ich hab genügend eigene. Und ich bin nicht gegen die Gewerkschaft. Ich will bloß meinen eigenen Weg gehen. Wer darauf wartet, daß Dock- und Fabrikbesitzer auf einen Haufen zerlumpter Gewerkschafter reagieren, kann lange warten.«
    Paddy schüttelte den Kopf. »Du solltest eintreten, Beitrag zahlen, einen Teil deines Lohns fürs allgemeine Wohl beisteuern. Andernfalls bist du genau wie sie.«
    »Also, ich bin durchaus keine von denen, Pa!« erwiderte Fiona erregt. »Ich steh auf und geh jeden Tag zur Arbeit, genau wie du. Ich glaub, daß die Arbeiter ein besseres Leben haben sollten. Sicher. Ich hab bloß keine Lust, auf meinem Hintern sitzen zu bleiben und zu warten, bis Ben Tillet alles richtet.«
    »Fiona, was ist denn das für eine Ausdrucksweise«, sagte Kate tadelnd und sah nach dem Essen.
    »Glaubst du wirklich, Pa, daß William Burton seiner Belegschaft
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